Daisy Sisters
für einen jungen Mann wie ihn.
Er will Einzelheiten wissen. Wer, wo?
Aber sie schüttelt nur mit dem Kopf, darum geht es nicht. Sie krallt sich an seine schwielige Faust.
»Ich weiß doch nichts über so was«, sagt er lahm. »Nur was man so hört. Aber das ist wohl meist nur Gerede.«
»Aber ein paar von deinen Mädchen da?«, wirft sie ein. »Du hast doch so viele. Vielleicht eine von denen?«
Da ist er erst stolz und dann beleidigt. Na klar kennt er viele Mädchen aus Gävle, aber er bringt sie doch nicht in so eine Lage. Er weiß schließlich, Teufel noch eins, wie man sich schützt, dass er nicht in die Situation kommt, viele Jahre für ein Kind zahlen zu müssen.
Er fährt ja heute Abend hin, sagt er zum Schluss. Er wird sehen, was er machen kann. »Aber wie, zum Teufel, kannst du so verdammt dämlich sein, so was anzustellen?«
»Weil ich so dämlich bin«, schreit sie, und er mahnt sie zur Ruhe und sieht sich um. Herrgott, sie wirkt ja richtig hysterisch. Die Welt geht schließlich nicht unter, wenn …
Sie steht auf und legt all ihre Verzweiflung in ihre Worte. »Ich warte morgen auf dich vor dem Werk. Ich denke mir was aus, damit ich freikriege. Und komm lange nach Papa und Nisse.« (Selbst hier wird sie erinnert, Nisse hieß er, dersie ins Unglück gestürzt hat. Genau wie der Bruder. Wenn der es doch gewesen wäre, denkt sie und schaudert.)
Also gut, er verspricht es, er wird es zumindest versuchen. Aber sie soll sich nichts erwarten. Und wie kann sie nur so verflucht dumm gewesen sein, dass sie nicht wusste, was sich gehört! Sich aufzuführen, als wenn … Pfui Teufel, und das in der Familie!
Am folgenden Tag mogelt sie sich aus der weißen Villa und läuft zum Werkstor, versteckt sich hinter einem Verladeplatz, der mit Zementröhren bedeckt ist, und sieht, wie Vater Rune und Nisse aus dem Fabriktor kommen, eingeklemmt in der müden Horde der Arbeiterschar. Kurz darauf steht Arne da. »Also, vielleicht«, sagt er.
Jemand, der jemanden kennt, der jemanden kennt, der es getan hat.
Mehr kann er heute nicht sagen. Aber am Mittwoch wird er wieder nach Gävle zum Tanzen fahren, und da erfährt er vielleicht mehr. Das ist eine verfluchte Aufgabe, die er sich da aufgehalst hat, aber wenn man eine Schwester hat, die nicht den Anstand hat, die Beine zusammenzukneifen, dann hat man keine Alternative …
Am Mittwoch gibt es wirklich jemanden, der jemanden kennt, der wiederum Rut erwähnt, eine alte Brauereiarbeiterin, die sich nicht zu gut war rumzuhuren, als der Hunger vor der Tür stand und sich nicht abweisen ließ. Arne sitzt da und trinkt Saft im Tanzcafé, und es ist Viola, die ihren Namen erwähnt. Aber warum ist Arne denn interessiert an so einer? Nein, er fragt bloß, ohne besonderen Grund, aber wo wohnt diese Rut denn? Viola ist plötzlich nicht länger an seiner Gesellschaft interessiert, sie steht auf, um zur Toilette zu gehen und sich zu kämmen. Sie glaubt, dass Rut in einer Hütte hinter einer der Bierkneipen unten am Hafen wohnt, hinter dem Anker wahrscheinlich …
»Jetzt musst du selbst klarkommen«, sagt Arne, als er seine Schwester wieder vor dem Fabriktor trifft. Er findet die Situation so verdammt unbehaglich, will um Himmels willen nichts damit zu tun haben. Aber er hat getan, was er konnte.
Am nächsten Tag geht Elna zu Frau Ask, die in ihren ausgewählten Zeitungen liest und über die sozialdemokratischen Ansichten zur Kriegsentwicklung die Nase rümpft. Dass die es nötig haben, so feige und falsch zu sein in all ihrer beklemmenden Vorsicht! Sehen sie nicht, dass der Krieg nur eine Richtung nehmen kann? War nicht Hitlers überraschender und taktisch souveräner Blitzangriff auf das russische Bolschewistennest der Auftakt zu einem entscheidenden Kreuzzug, auf den alle anständigen Menschen fünfundzwanzig Jahre gewartet hatten? Schweden ist ein kleines Land. Aber auch hier wird die Neuordnung den demokratischen Schlendrian hinwegwischen, wenn Hitler nur Zeit bekäme, die großen Aufgaben zu Ende zu führen … Was will das Mädchen?
»Ob ich wohl einen Nachmittag freibekommen könnte«, sagt Elna und knickst.
»Elna hat doch die Sonntage und jeden zweiten Mittwochnachmittag«, antwortet Frau Ask über den Zeitungsrand hinweg. Sie mag es nicht, bei der Zeitungslektüre gestört zu werden. Da sie nun mal keine Kinder hat, sind es die Zeitungen, in die sie ihre überschüssigen Kräfte steckt. Und dabei will sie nicht gestört werden, das hat sie ausdrücklich angeordnet.
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