Daisy Sisters
müsste. Vivi hört nicht auf, sie zu verblüffen. Das Erste, was sie schreibt, ist, dass sie mit ihrer Mutter gesprochen hat, denn die hat mehrere Abtreibungen hinter sich, darum weiß sie mehr als ich!
Es ist ein langer Brief, viele eng beschriebene Seiten mit Streichungen, Tintenklecksen und Ergänzungen, und Elnaempfindet eine große Dankbarkeit, als sie merkt, dass Vivi sich wirklich um sie sorgt. Und auch ihre Mutter! Elna liest den Brief viele Male, bevor sie alles versteht. Und sie hätte ihn noch einige Male gelesen, als Frau Ask die Tür aufreißt, ohne zu klopfen, und fragt, ob Briefelesen zu Elnas Aufgaben gehöre. Elna stopft den Brief in die Schürzentasche, bittet um Entschuldigung und eilt auf den Hof. Dort klopft sie dann den Staub aus den dicken Teppichen, während der Brief wie ein Film durch ihren Kopf surrt.
Vivi und ihre Mutter sind Realistinnen. Sie glauben nicht an die Möglichkeit einer Anzeige wegen Vergewaltigung. Die Mädchen haben ja die Soldaten zu sich eingeladen, sie haben mit ihnen getrunken. Nein, das geht nicht. Da bleibt nur die eine Lösung, zu der so viele Frauen jedes Jahr gezwungen sind: die illegale Abtreibung.
»Ich weiß nichts über Sandviken«, schreibt Vivi. »Aber Gävle ist doch eine große Stadt, mit Hafen und Krankenhäusern. Dort muss doch jemand zu finden sein, der das kann. Aber sei sorgsam bei der Auswahl, es kann gefährlich sein. Hol dir Rat bei jemandem, der es selbst schon hat machen lassen.«
Gävle? Sie klopft die Teppiche, der Schweiß rinnt. Wen kennt sie in Gävle? Vivi, du bist so weit weg. Ich schaff das nicht ohne deine Hilfe. Sie schlägt und schlägt. Frau Ask, die am Wohnzimmerfenster steht, nickt zufrieden. Das Mädchen ist tüchtig, es schont sich nicht. Ihr Briefelesen kann fast entschuldigt werden, wenn man sieht, wie sie sich ins Zeug legt. Und dass Mädchen einen Liebsten haben, der schreibt, ist eigentlich nur natürlich …
Am Abend fasst Elna ihren einsamen Beschluss. Alles muss geheim gehalten werden. Kommt es heraus, bringt sie sich um. Es bleibt ihr nur, Vivis Rat zu folgen und nach Gävle zu fahren. Aber sie braucht Hilfe, sie kann sich ja nicht aufden Bahnsteig in Gävle stellen und rufen, dass sie jemanden sucht, der eine Abtreibung vornimmt. Wer kann ihr helfen und doch nichts verraten? Es gibt schließlich nur eine Person, die sie sich in dieser Rolle vorstellen kann. Und sie tut es unwillig, sie kennt ihn so schlecht, weiß nicht, wie er reagieren wird, ob man ihm trauen kann. Arne, ihr ältester Bruder. Er kennt Gävle, er fährt zum Tanzen dorthin, er trifft Frauen. Sie weint sich in den Schlaf, versucht, nicht mehr daran zu denken, nachdem der Beschluss nun einmal gefasst ist.
Am Sonntag ist Fußball, Sandviken trifft auf Degerfors in Jernvallen und gewinnt mit 3:1. Vor der Stehplatztribüne schaut Elna nach Arne aus. Und da kommt er, aber er ist nicht allein, er hat seine Freunde bei sich. Sie zögert, er ist schon fast an ihr vorbei, als er sie entdeckt und stehen bleibt. Etwas in ihrem Gesicht sagt ihm, dass sie nicht zufällig dort steht.
Er ruft seinen Freunden zu, dass er noch bleibt, um sich mit seiner Schwester zu unterhalten. »Ich wusste nicht, dass du dich für Fußball interessierst«, sagt er.
»Ich hab hier auf dich gewartet«, antwortet sie und kann nicht verhindern, dass ihre Stimme zittert.
Aber er merkt nichts, der Sieg und vor allem das letzte Tor waren herrlich. »Ein Freistoß aus fünfundzwanzig Metern«, sagt er. »Geradewegs in die linke Ecke. Der Torwart stand bloß da und glotzte, er rührte sich nicht, hol mich der Teufel! Und was willst du?«
Sie gehen hinunter zum Storsjö und setzen sich auf den Anleger. Arne sieht seine Schwester fragend an. Was zur Hölle ist los mit ihr?
Sie erzählt erst, nachdem sie mehrfach Verschwiegenheit von ihm gefordert hat. Er verspricht, sicher, er sagt bestimmt nichts weiter. Aber was hat sie denn?
Sie berichtet nur das Notwendigste, sie bekommt einKind, und das muss sie wegmachen lassen, sonst nimmt sie sich das Leben. Sie braucht Hilfe, um in Gävle jemanden zu finden, der … Kennt er jemanden? Er muss doch jemanden kennen!
»Oh, pfui Teufel«, sagt er. »Was hast du angerichtet. Was werden sie zu Hause sagen!«
Niemand wird zu Hause etwas sagen, niemand darf je davon erfahren! Sie weint. Er sieht sich hilflos um, aber niemand kommt und niemand geht, es ist menschenleer, eine heulende kleine Schwester auf einem Anleger kann schon eine schwere Last sein
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