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Daisy Sisters

Titel: Daisy Sisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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in seinen Augen. »Hier bist du nicht gewesen«, sagt er. »Wenn du sagst, dass du hier gewesen bist, kannst du für den Rest deines Lebens ins Gefängnis kommen. Denk dran. Nie hier gewesen.«
    »Taxi«, ruft die Frau. »Taxi, Taxi. Ruf an.«
    Aber der glatzköpfige Mann schiebt Elna energisch in den Flur hinaus. Vorsichtig späht er ins Treppenhaus, ob es leer ist. Dann schubst er sie hinaus und schlägt die Tür zu.
    Sie geht. Es ist seltsam heiß zwischen den Schenkeln, da rinnt etwas. Sie ist schwach und will sich am liebsten hinsetzen, aber als sie jemanden auf der Straße trifft, atmet sie tief durch und geht weiter. Der Kopf ist leer, es klopft nur schwer in den Schläfen. Nicht zu schnell und nicht zu langsam. Einmal stolpert sie, die Beine knicken ein, aber sie fällt nicht, sondern geht weiter, mit gegeneinanderscheuernden Beinen, und sie kommt direkt ins Krankenhaus. Sie läutet eine Glocke, nach einigen Augenblicken sieht sie flüchtig eine weiß gekleidete Gestalt, alles ist so trübe geworden vor ihren Augen, dass sie kaum erkennt, was da ist, und dann fällt sie …
     
    Als sie aufwacht, liegt sie in einem Bett in einem weißen Zimmer.
    Am Fußende sitzt ihre Mutter.
    Den schwarzen alten Hut hat sie in den Händen und dreht ihn ununterbrochen. Als sie sieht, dass Elna aufgewacht ist, verlässt sie ohne ein Wort das Zimmer.
    Sie kommt mit einer Krankenschwester zurück. Die jungeSchwester nimmt Elnas Handgelenk und fühlt den Puls, zählt, legt die Hand wieder auf die Bettdecke. Sie sieht aus, als ob sie etwas sagen wollte, aber nicht weiß, was. Nachdem sie einen verstohlenen Blick auf die leichenblasse Mutter geworfen hat, die verkrampft ihren Hut drückt, wendet sie sich zu Elna und lächelt. »Das wird schon wieder«, sagt sie schließlich. »Und trink viel Wasser. Deine Mutter holt mich oder jemand anderen, wenn etwas sein sollte. Hast du Schmerzen?«
    Elna horcht in sich hinein. Nein, sie hat keine Schmerzen, sie schüttelt den Kopf, und die Krankenschwester geht. Mutter? Was macht sie hier? Und wie kam sie selbst ins Krankenhaus? Klar, sie erinnert sich. Nicht zu schnell und nicht zu langsam .
    Dann wird ihr ganz kalt. Warum ist sie im Krankenhaus? Und, guter Gott, wenn Mutter hier ist, dann muss sie ja wissen, was passiert ist!
    Aber was ist eigentlich passiert? Mutter ist ja leichenblass! Und warum sagt sie nichts?
    Schließlich wird das Schweigen unerträglich. Das Schweigen und der schwarze Hut, den sie nur zu festlichen Anlässen trägt.
    Aber ist dies ein festlicher Anlass?
    »Was mache ich hier?«, sagt Elna und schaut sie an.
    Mutter zuckt richtig zusammen bei der Frage. Aber dann beugt sie sich vor, nachdem sie sich vorsichtig umgeschaut hat, als ob noch jemand im Raume sein könnte. »Dass du so was deinen Eltern antun kannst«, flüstert sie. Elna hört kaum, was sie sagt. Mutter weiß also Bescheid! Wie um alles in dieser unseligen Welt ist das zugegangen? Ist es Arne, der trotz allem seinen Mund nicht halten konnte?
    »Wie wir uns schämen müssen«, flüstert Mutter. Elna denkt, dass sie sich wie eine fauchende Katze anhört.
    Es muss ihr also schlecht ergangen sein nach der Abtreibung, und darum musste sie ins Krankenhaus. Und da haben sie natürlich ihren Namen entdeckt, der im Futter des Mantelkragens eingenäht ist. Da steht alles miteinander, Name und Adresse.
    Aber was spielt es für eine Rolle, dass Mutter hier ist und sich schämt? Sie kann ja nichts wissen. Mehr als … Ja, was? Dann erinnert sie sich an all das Blut und begreift, dass sie deswegen ins Krankenhaus gehen sollte.
    »Jeder kann wohl mal bluten«, sagt sie.
    Mutter scheint nicht zu hören. Der Hut wird in den Händen geknetet, und sie fährt fort zu zischen, von Schande, der entsetzlichen Schande. »Du hättest ja sterben können«, sagt sie, ohne dass Elna etwas Mitfühlendes in ihrer Stimme erkennen kann.
    Und natürlich übertreibt sie. Es gehört mehr dazu als ein bisschen Blut, um zu sterben.
    Elna schließt die Augen und denkt, dass es nun vorbei ist. Jetzt kann sie wieder anfangen zu leben. Wenn Mutter sich schämen will, weil sie im Krankenhaus liegt, so soll sie das gerne tun. Was stört sie das? Hätte sie nicht getan, was sie getan hat, dann könnte sie von Schande sprechen. Aber so nicht.
    »Wie lange bin ich schon hier?«, fragt sie, ohne die Augen zu öffnen. Den Hut, der von den Händen bearbeitet wird, kann sie trotzdem sehen.
    »Seit zwei Tagen«, antwortet Mutter.
    Zwei Tage? Aber, ihre

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