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Daisy Sisters

Titel: Daisy Sisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Ursache, aber die Kündigung muss nicht unmittelbar vollzogen werden, sie darf noch eine Weile arbeiten …
    Solange es nicht zu sehen ist, mit anderen Worten. Aber der Verschlag vor der Küche hat immerhin einen Vorteil, da wird sie in Ruhe gelassen. Besser da als hier in der Küche die unleidlichen stummen Mahlzeiten mit den Eltern und den Brüdern.
    Der Brief an Vivi wird aufgeschoben. Sie kommt nicht zum Schreiben, obwohl mindestens ein Brief pro Woche aus Landskrona eintrifft. Und Vivi ist unruhig. Was ist passiert? Da weint Elna fast, denn mit der Sorge wird sie nicht fertig. Aber antworten, nein, das schafft sie nicht. Noch nicht.
    Habichtnases Spott hat zugenommen, aber Elna duckt sich nur, weicht aus. Der bekümmerte Ingenieur sieht sie mitleidig an. Manchmal öffnet er den Mund, als wollte er etwas sagen, aber es wird mehr ein Gähnen, er sagt nie etwas.
    Das geht eine Woche, das geht zwei Wochen. Bald ist es Mitte September. Der Monat der Vogelbeeren. In der großen Welt scheint Hitlers Herrschaft immer unumschränkter zu werden, in der kleinen Welt kann Elna nicht vor ihrem Kind weglaufen. Es ist da, woran sie auch denkt, was sie auch tut, wohin sie auch geht.
    Schließlich schreibt sie einen Brief an Vivi. In all seiner Einfachheit lautet er wie folgt:
    »… was im Sommer noch grün war, ist jetzt rot und gelb. Das ist schön. Es ist alles missglückt, was ich zu tun versucht habe, das Kind ist immer noch da. Ich träume, dass ich laufe, aber ich komme nirgendwo an. Das bin nicht ich, die sich bewegt, sondern das, was um mich herum ist, bewegt sich, die Bäume, Häuser, Menschen. Ich habe ein kleines Buch entdeckt, als ich vor ein paar Tagen die Buchrücken abgestaubt habe, es lag hinter dem Regal, vielleicht war es heruntergefallen, aber ich glaube eher, dass es dort versteckt wurde. Ich begann zu blättern, und da stand Folgendes: ›Willkommen ist wohl im Allgemeinen das erste Kind, möglicherweisenoch Nummer zwei, wenn das Kind und die Mutter gesund sind und der Vater eine halbwegs gut bezahlte Arbeit hat. Aber dann … Kindergeschrei, durchwachte Nächte, die gesegneten Kinder werden die verdammten Jugendlichen … Und so entdeckt man eines Tages, dass die Sehnsucht nach Kindern, die man einmal hatte, sich verwandelt hat in Entsetzen, weil Mutter schon wieder ein Kind erwartet …‹ So stand es da, und noch viel mehr. Unwillkommene Kinder heißt es, und ich denke, dass alles anders sein könnte, wenn ich das vorher gewusst hätte. Jetzt kann ich nicht mehr weiterschreiben, aber ein andermal …«
    Ganz unten kommt dann noch ein Hilfeschrei, aber Vivi kann nicht helfen, also streicht sie die Worte wieder durch, bis sie unleserlich sind. Der Brief bleibt viele Tage liegen, bevor er endlich abgeschickt wird.
    Am letzten Novembertag hört Elna bei Familie Ask auf. Eine neue Haushaltshilfe ist schon seit einer Woche im Haus, und Elnas letzte Aufgabe ist es, sie in die Arbeitsroutine einzuweisen. Die Frau ist wenigstens zehn Jahre älter als Elna. Sie kommt aus Linköping, und Elna merkt schnell, dass sie die gleiche politische Auffassung hat wie die Habichtnase. Elna ahnt, dass eine Annonce in dem vom Ingenieur so verhassten und gefürchteten Dagens Eko dieses Resultat erbracht hat. Aber das kann Elna egal sein; Hauptsache, die Neue merkt sich, dass der Morgentee des Ingenieurs nicht zu stark sein darf.
    Am letzten Tag, als Elna den Hemdenkragen des Ingenieurs bügelt, kommt er plötzlich zu ihr herein. »Nein, mach nur weiter«, sagt er, als sie das Bügeleisen wegstellt, um die erwartete neue Anordnung zu hören. »Ich will Elna nur das hier geben«, sagt er und streckt ihr einen Zehnkronenschein entgegen, einen von den neuen, mit Bild von Gustav Wasa und dem leeren Spiegeloval daneben.
    »Das ist schade, das hier«, sagt er dann. »Wenn ich dir raten dürfte, dann …« Er bricht ab und entfernt sich murmelnd. Elna denkt, dass sie so etwas wie Dankbarkeit fühlen müsste, aber das tut sie nicht. Sie ist zu müde.
    Um sechs Uhr trottet Elna durch die Gemeinde nach Hause. Es schneit, und sie hat Schmerzen im Rücken. Sie schaut auf die Straße, um nicht auszurutschen. Sie denkt, dass die, die sie sehen, den niedergeschlagenen Blick so deuten, als ob sie sich schämt. Aber das tut sie keinesfalls! Das Unglück ist ein ganz anderes, es handelt sich um ein verlorenes Leben.
    Als sie zu der rötlichen Arbeitersiedlung kommt, steht Ester in der Tür und wartet auf sie. »Komm einen Moment zu mir rein«,

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