Daisy Sisters
diesem Teufelsloch scheint sich alles nur um Güterwagen zu drehen. Vorausgesetzt, dass alles weiterhin so unbegreiflich gut bleibt. Soll nicht die Arbeitszeit schon dieses Jahr – 1956 – von 48 auf 45 Stunden die Woche zurückgehen? Und ist nicht das Kontrollbuch schon seit einem halben Jahr abgeschafft? Nein, jetzt geht es in die richtige Richtung, die Industrie läuft auf Hochtouren, die Löhne steigen, und bald hat man, hol’s der Teufel, genug Geld für ein Auto und für ein Ferienhaus … So tönt es rund um ihn herum. Hallsberg ist ein Eisenbahnknotenpunkt, nicht mehr und nicht weniger, und das Bahnhofscafé ist der Ort, wo der Bahnhofsarbeiter seinen Kaffee bestellt und seine mitgebrachten Brote isst. Es sind viele, die Arbeit am Rangierbahnhof geht in Schichten den ganzen Tag. Nur ausnahmsweise mal verirrt sich ein Reisender in die Gaststätte und schreckt zurück vor dem scharfen Geruch von Tabak und Gummistiefeln.
Hier verbringt also der alte Bauernkomiker, Fakir undMarktunterhalter Anders Jönsson seinen Lebensabend. Wer kann glauben, dass dieser zottige und altmodisch gekleidete Alte vor langer Zeit sogar eine Anstellung in der wunderbaren Welt des Films hatte? Und jetzt kommen die Mücken ins Spiel.
Zu Beginn der dreißiger Jahre hatte er sich aufgemacht zu einer kraftzehrenden und bedrückenden Wanderung durch Europa. Er wollte nie wiederkommen. Kein Mensch in Schweden war noch interessiert an seiner Kunst. Jetzt waren Tanzmädchen und Varietés in kostspieligen Lokalen gefragt. Selbst in seinen besten Kleidern wäre es nicht sicher gewesen, dass man ihn überhaupt eingelassen hätte. Die Zeit der Alleinunterhalter schien unwiderruflich vorbei. Auf einer wackligen Bühne zu stehen und Soldatenlieder oder lustige Geschichten vorzutragen lohnte sich nicht länger. Möglicherweise hätte er sich als ausgestopftes Relikt nach Skansen zurückziehen können, aber nicht einmal das ist wahrscheinlich. Denn er war kein bekannter Bauernkomiker, er war nur Anders aus Hossamåla , der sich als Vorsänger und Anheizer für die großen Stars durchschlug. Darum machte er sich davon. Raus nach Europa, da war es in jedem Fall wärmer, die Winter sind nicht so höllisch kalt wie in Schweden.
So kommt er zu Fuß durch Frankreich getrottet, und südlich von Paris geht er direkt in ein Filmstudio. Gewohnheitsmäßig fragt er, ob es etwas zum Zupacken gibt, er nimmt alles, egal, was es ist, für ein bisschen Kleingeld, das für Brot und vielleicht auch ein paar Glas Rotwein reicht, der so unbegreiflich billig ist in diesem Land.
Ein kleiner Mann mit einem Rattengesicht und Eisenplomben im Mund steht am Eingang zum Studiogelände und hat etwas anzubieten … Ob er mitkommen wolle? Ein paar Franc am Tag kann er diesem schwedischen Landstreicherzahlen; gerade heute ist er vom Aufnahmeleiter angeschnauzt worden, warum noch immer niemand das katastrophale Problem in Angriff nimmt …
Man dreht einen melodramatischen Film, in dem eine Mutter den Liebhaber ihrer Tochter heiratet, der seinerseits den heimlichen Liebhaber der Tochter umbringt, der seinerseits … Alles in unerhört kostspieliger Szenerie. Und ausschließlich Innenaufnahmen! Andauernd explodiert einer der empfindlichen Scheinwerfer mit ohrenbetäubendem Knall. Die Schauspieler sind hysterisch vor Angst, ihre Gesichter könnten von den Glassplittern verletzt werden, und der Produzent rast wegen der Verzögerungen. Und all das nur, weil Mücken in der Dekoration herumfliegen. Mücken, die ihren Weg zum Licht suchen und gegen die Scheinwerfer prallen.
Sieben Monate lang jagt nun der ehemalige Bauernkomiker Anders aus Hossamåla Mücken in diesem Studio. Und er ist findig: Er klettert auf Leitern und an schwankenden Lichtrampen entlang. In der Hand hält er eine Fliegenklatsche, er ist treffsicher und legt seine ganze Seele in die Arbeit. Aufgrund dieser Emsigkeit kommt es nicht mehr zu so vielen Verzögerungen, und der Kassierer erhält den Auftrag, dem Mückenjäger einen höheren Lohn auszuzahlen. Die Franc, die er erhält, reichen für Essen und Rotwein alle Mal und für ein Bett in der Mansarde eines Studioarbeiters. Herz, was begehrst du mehr? So ist es also wahr, dass er davon gelebt hat, Jagd auf Mücken zu machen.
Und hier, an diesem Eisenbahnknotenpunkt, wo niemand aus dem Zug steigt, um zu bleiben, soll nun seine Endstation sein? Zwar hat ihm das Leben öfter seine tragischen und komischen Masken gezeigt, aber das hier ist schlimmer als alles andere
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