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Daisy Sisters

Titel: Daisy Sisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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zu ziehen, so hat die Stunde geschlagen. Hat er nun siebzig Jahre überlebt, meistens dank seines starken Willens, so soll dieser Wille ihm auch den letzten Dienst erweisen.
    Zweitausend Kronen hat er noch übrig. Das Geld reicht wohl bis Weihnachten, dann ist Schluss. In acht, neun Monaten wird er es schaffen, sich totzusaufen. Das ist es nämlich, wozu er sich entschlossen hat. Das Geld versaufen, sitzen und träumen, sich um die Katze kümmern.
    Und dann? Es gibt kein Danach. Da ist er tot. Passend zu Neujahr, passend zur kältesten Winterperiode. Und es wird ihm ein wahres Vergnügen sein, den Winter um seine erfrorene Beute zu betrügen. Er hat die Winter immer gehasst, und jetzt hat er endlich die Möglichkeit, zurückzuzahlen für all die Nächte, die er zusammengerollt und zitternd vor Kälte im Park lag, unter Brücken, in Treppenhäusern. Nein, saufen wird er, saufen bis zum Untergang.
    Aber dann und wann passiert ja doch mal etwas Unerwartetes.
    Eines Abends Ende April, als er so dasitzt und in seinem dunklen Haus und eine Mischung aus Klarem und Rotwein trinkt, hört er, dass etwas an der Hausecke kratzt. Die Katze kann es nicht sein, die liegt vor ihm auf dem Boden und schläft zwischen den Flaschen. Was ist es dann? Eine andereKatze? Ein geiler Freier? Ein Igel? Nach einer Weile stirbt das Geräusch ab, und er vergisst es sofort. Er befindet sich in Gedanken auf dem Markt von Skänninge an einem Sommertag 1917. Da ist er nicht Anders von Hossamåla oder »42 Klingen«, der unter Garantie lustig ist. Nein, er ist von Tivolidirektor August Cederlund als Fakir engagiert, mit der Spezialität, Zweizollnägel zu schlucken. August Cederlund ist einer der schlimmsten Schurken der schwedischen Vergnügungsindustrie. Das erwartungsvolle Publikum ahnt natürlich nichts, aber die, die für ihn gearbeitet haben, wissen Bescheid. In schlechten Zeiten stellt er keine Frauen ein, weder Schlangenbeschwörerinnen noch Kartenverkäuferinnen, wenn er nicht vorher das Versprechen bekommt, wenigstens an drei Tagen in der Woche mit ihnen bumsen zu dürfen. Um die Nächte geht es nie, da spielt er Poker und betrügt seine Tivoliarbeiter um ihre Löhne. Er wird von allen gehasst, aber wenn man nur die Wahl hat zwischen Hunger und Cederlunds Wanderwagen mit dem dazugehörigen Sofa …
    Bei diesem Cederlund soll also Abd-ur-Rama neunmal am Tag Nägel schlucken während der drei Tage, die der Markt dauert. Das wäre also siebenundzwanzigmal, und zwischendurch soll er sich auch noch vor dem Varietézelt zeigen, um Bauern zu überreden, sich die Vorstellung anzusehen. Fünfundzwanzig Kronen pro Tag soll er bekommen, und er erhält, seltsam genug, die Hälfte als Vorschuss. Und dann steht er da und schluckt Nägel, während das murrende Publikum sich wundert, wie zum Teufel er das schafft. Tja, das ist ein Berufsgeheimnis, aber so viel kann er wohl sagen, dass er nach jedem Auftritt in den zugigen Kulissen steht und die Nägel wieder aus dem Hals zieht, einen nach dem anderen an dem dünnen Draht, den er so geschickt vor dem Publikum verbirgt. Und herauf kommen sie, einer nach dem anderen, gefolgt von Galle und Speichel.
    Er wird in seinen Gedanken dadurch unterbrochen, dass jemand versucht, durch die Außentür einzudringen. Normalerweise hat er Angst um sein Leben, aber jetzt ist er so betrunken, dass er vor allem neugierig ist. Wer in aller Welt will da in sein Haus einbrechen? Zwar ist das Haus dunkel, und der vernachlässigte Garten legt nahe, dass es unbewohnt sein könnte … Aber trotzdem. Was glaubt ein Dieb hier zu finden? Er bleibt sitzen. Die Katze ist aufgewacht und spitzt die Ohren.
    Als die Außentür aufgeht, dreht Anders am Lichtschalter hinter sich, und die Küche wird von Licht überflutet. In der Tür steht ein kleiner magerer Teenager, schlammig und schmutzig. Wie ein Tier wird er vom Licht gelähmt und starrt verschreckt auf Anders.
    Dass dies keine gefährliche Person ist, erkennt Anders sofort. Er steht auf, und das halbwüchsige Lehmstandbild schreckt zurück. »Versuch jetzt verdammt noch eins nicht abzuhauen! Denn dann, zum Teufel, komme ich hinterher«, lallt Anders.
    Der Junge gehorcht, er bewegt sich vorsichtig, und Anders sieht, dass der Schreck nicht nur eine Maske ist, sondern sein wahres Gesicht.
    »Setz dich! Und halt die Klappe!«
    Anders betrachtet den Eindringling. Der ist merkwürdig bekleidet. Skischuhe, viel zu kurze Golfhosen, ein zerrissenes kariertes Hemd unter einer offenen Lederjacke. Es

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