Daisy Sisters
Pflegefamilie untergebracht werden, und natürlich bei Bauern weit draußen auf dem Lande. Der Schulbesuch kann damit als abgeschlossen angesehen werden. Dass er kaum schreiben kann, ist nun nichts, was man besonders hervorheben müsste. Im besten Fall kann er ein Blaukittel in einer passenden Fabrik werden … Der Bauer versucht, ihn noch am ersten Abend zu vergewaltigen, und da nimmt er seine Zuflucht zu dem einzigen Ausweg, den er kennt, zu den Fäusten. Neuer Bericht und neuer Bauernhof, diesmal in Strömsund. In diesem einsamen und melancholischen Binnenland soll die Erinnerung an die Hornsgata verjagt werden. Um vier Uhr aufstehen, um neun Uhr ins Bett, nie ein freundliches Wort. Als er vierzehn ist, stiehlt er das Auto des Gemeindearztes und schafft es bis nach Slussen in Stockholm. Aber mit dem Großstadtverkehr kommt er nicht zurecht, er kracht direkt in eine Droschke, und nun hat er definitiv die Grenze zur Kriminalität überschritten. »Die armen Eltern«, bekommt er oft zu hören … Und dann braucht es nicht mehr viel, bald hat er das Alter fürs Jugendgefängnis,und nach ein paar Einbrüchen kann er endlich dort platziert werden. Aber das Gefängnis in Mariefred knackt er, und durch die Wälder hat er sich bis Hallsberg geschlagen. Das Haus sah leer aus, er ist so hungrig, dass ihm der Bauch wehtut, und was hat er zu verlieren?
Anders hat ein paar kalte Kartoffeln und ein Stück Fleischwurst anzubieten. Lasse Nyman schlingt alles hinunter und trinkt einen Krug Wasser dazu.
Dann schläft er. Sofort, mit dem Kopf auf dem Tisch. Was, zum Teufel, hat er für ein Interesse an morgen?
Ein Ausbrecher kann eigentlich nur in seinem Schlaf das perfekte Versteck finden.
Lasse Nyman bleibt bei Anders. Der Grund ist einfach der, dass es keinen Grund gibt, warum er nicht bleiben sollte. Zumindest bis auf Weiteres, dann wird man schon sehen.
»Bleib ruhig da«, sagt Anders. »Wasch deine Sachen, kauf neue Schuhe. Geld kannst du von mir haben. Und geh raus. Sei genauso wie immer, sieh dich nie um. Du bist ein Verwandter, der zu Besuch gekommen ist.«
Lasse Nyman darf in der Kammer schlafen, während Anders auf einer Matratze in der Küche bleibt. Da gefällt es ihm sowieso am besten; dass er vorher in der Kammer geschlafen hat, lag nur daran, dass das Bett da stand, als er kam.
Lasse Nyman kämmt sein schwarzes Haar zu einem perfekten Hahnenkamm, die Kleider reibt er in der Spülschüssel sauber, und als sie getrocknet sind, geht er ruhig und würdevoll zu Oscaria und kauft ein Paar schwarze spitze Herrenschuhe der besten Örebromarke. Und sieht sich dabei nicht um. Obwohl er natürlich die ganze Zeit über nervös ist, so glaubt er sich ganz sicher in diesem Loch hier. Die Treibjagd auf ihn findet natürlich in Stockholm statt, in Söder. Und da können die Teufel ruhig suchen …
Als er zurückkommt mit seinen neuen Schuhen an den Füßen –die Skistiefel hat er in einen Wassergraben geworfen –, wird er fast von einem radelnden Mädchen angefahren, das aus dem Hof des Mietshauses kommt. Er springt zur Seite und flucht, sie wird rot und strampelt weiter.
»Wer ist sie?«, fragt er, als er sich Anders in der Küche gegenübersetzt. Sie? Welche Sie?
Ach so, die. Das muss Sjögrens Mädchen sein, die Beschreibung könnte passen. Dunkles Haar, hübsches Gesicht, hager und schlaksig, aber schlagfertig. Anders weiß, dass Frau Sjögren die Mutter des Mädchens ist, aber Erik Sjögren ist nicht ihr Vater. Sie hat keine Geschwister.
»Das ist bestimmt Eivor, die du meinst«, sagt Anders.
Als Anders nach Hallsberg kam und seine Residenz bezog, war sie ein kleines mageres Mädchen, das ihn gleich am ersten Tag grüßte, als er aus seiner Tür trat.
»Wirst du hier wohnen? Da werden wir Nachbarn. Ich heiße Eivor. Wie heißt du?«
Aber das war vor drei Jahren. Nun hat sie Brüste bekommen, malt ihr Gesicht an und trägt andere Kleider. Grüßen tut sie weiterhin.
»Wie ist das Leben so?«, fragt er Lasse Nyman. Es sind ein paar Tage vergangen, und der Junge hat meistens geschlafen, besonders tagsüber. Er scheint ein ausgeprägter Nachtmensch zu sein.
»Was für eine blöde Frage!«, bekommt er zur Antwort.
Klar, natürlich ist die Frage blöd. Sie ist allzu direkt. Aber die Antwort interessiert ihn. Darum lässt er nicht locker. »Was wünschst du dir? Wovon träumst du? Wovor hast du Angst? Begreifst du?«
Na klar, Lasse ist pfiffig. Außerdem ist er fasziniert von diesem Alten, der ihm Freundlichkeit
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