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Daisy Sisters

Titel: Daisy Sisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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erweist, ohne etwas dafür zu erwarten. Gibt ihm sogar noch Geld für Schuhe, Zigaretten, Essen. Und scheint vor allen Dingen nicht das Bedürfniszu haben, ihn zurückzuschicken in dieses verdammte Gefängnis. Ist er senil? Nein, es scheint nicht so. Obwohl er den ganzen Tag über säuft, behält er irgendwie einen klaren Kopf. Lasse Nymans Erfahrungen mit Säufern sind anderer Art. Schlägereien, Geschrei und Zank. Er empfindet Sympathie für diesen Alten, der nach Urin stinkt. Außerdem ist das etwas, wofür er Verständnis hat. Er ist selbst viele Jahre Bettnässer gewesen, und es kann immer noch passieren, dass er wach wird, weil er sich vollgepisst hat. Aber das geschieht immer seltener. Dank sei Gott oder jemand anderem. Allerdings ist der Alte hoffnungslos zurückgeblieben. Von dem, was in der Welt passiert, scheint er nicht viel zu begreifen.
    Wie von den Autos jetzt. Das Wichtigste von allem ist, ein gutes Auto zu haben. Und damit ist natürlich ein Ami-Schlitten gemeint. Ein Ford oder Chevrolet.
    Er versucht zu erklären: Dass man damit schnell flüchten kann. Dass man die Autotür zuschlägt und sich davonmacht, wohin auch immer. Dass es warm im Auto ist, obwohl draußen Eiseskälte herrscht. Dass sich eine Bande im Auto zusammendrängen und losdüsen kann. Oder dass man mit einer Braut eine Waldpartie unternehmen kann und fürs Mitnehmen belohnt wird.
    Ohne Auto steht man, buchstäblich gesagt, auf der Straße und sieht alles vorbeisausen. Da ist man nicht mit dabei.
    Soweit er das mit der begrenzten Erfahrung seiner Jugend begreifen kann, verläuft dort die Grenze zu dem, was früher war. Jetzt kann sich jedermann ein Auto kaufen. Fast. Für solche wie Lasse Nyman ist es jedoch weiterhin notwendig, sich eins von anderen zu leihen. Aber wer weiß …
    Anders säuft und hört zu. Der junge Rumtreiber ist nicht dumm. Er spricht eine begreifliche Sprache. Das mit dem Auto versteht er. »Kann man da auch drin schlafen?«, fragt er.
    Aber klar doch!
    Hat er es jetzt begriffen?
    Ja, aber da muss es doch noch mehr geben. Die Welt besteht doch wohl immer noch aus Armen und Reichen. Die Politik …
    »Politik ist etwas, worauf man scheißt«, antwortet Lasse Nyman. Dass manche von Anfang an alles haben, dass deren Wiege gefüllt ist mit Zaster, das ist etwas, womit man leben muss. Aber jetzt können sich alle das beschaffen, was sie brauchen, wenn sie nur ein bisschen clever handeln, schnell denken und frech genug sind.
    Es werden keine langen Gespräche. Lasse Nyman schläft, so viel er kann, und bereitet sich darauf vor, zu verschwinden. Nach zwei Tagen hat er gemerkt, dass Hallsberg wohl ein ausgezeichnetes Versteck ist, aber nur für eine kurze Atempause. Dann muss er weiter, hier gibt es keine Möglichkeiten für so einen wie ihn.
    Morgens hat Anders einen entsetzlichen Kater, wenn er aufwacht. Aber er hält immer ein paar Pils in Reichweite, und das beruhigt, bevor es Zeit ist, Nachschub zu kaufen. Bis dahin hat er sein Morgenritual, um durchzuhalten.
    Eine der neuzeitlichen Verbesserungen ist auch für ihn von Bedeutung. Er hat eine Anzahl Plastiktüten gekauft, in die er zwei Löcher geschnitten hat. Abends steigt er in die Tüte wie in eine Unterhose und hat damit etwas, was wie eine Windel funktioniert. Natürlich läuft hier und da etwas durch, aber die Matratze ist wenigstens nicht immer platschnass, wenn er wach wird. Jeden Morgen entfernt er dann die Plastiktüte, wäscht sich den entzündeten Schritt und zieht sich an. Nur nachts trägt er die Plastiktüten, tagsüber versucht er, sich zu kontrollieren, so gut er kann. Es geht nur darum, sich nicht aufzuregen, sich langsam zu bewegen und nicht beim Systembolaget die Nerven zu verlieren. Er vermeidetes tunlichst, samstags einzukaufen, wenn sie Schlange stehen in den Geschäften, und auch genau dann, wenn die Geschäfte öffnen und alle Säufer hineinwollen. Nein, zehn Uhr ist in Ordnung, da kann er meistens direkt zur Kasse durchgehen und das bekommen, was er will.
    Sich selbst rechnet er nicht zu den Säufern. Er trinkt bewusst, er hat ein philosophisches Motiv für sein Besäufnis. Er mit seinem Ablebensprozess kann nicht verglichen werden mit diesen zitternden Figuren, die ständig in Sorge sind, dass ihr Kauf nicht bewilligt wird. Er nickt höflich, bestellt mit klarer und bestimmter Stimme das, was er haben will, und sagt artig »Auf Wiedersehen«, wenn er geht. Das ist der Unterschied zu allen alten Streckenarbeitern, die da vor der Tür stehen

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