Daisy Sisters
und schlottern.
Dass die Leute Rente bekommen und somit Geld zum Versaufen haben, ist eigentlich am merkwürdigsten an dieser neuen Zeit. Woher kommt das ganze Geld? Wie konnte dieses Land, das er als ein Arme-Leute- und Läuse-Reich erlebt hat, sich so gewaltig verändern?
Darauf hätte er gerne eine Antwort von Lasse Nyman.
Als er nach Hause kommt mit seinem Schnaps- und Rotweinvorrat und außerdem einem neuen Paar Hosen aus Terylene , ist die Tür zur Kammer geschlossen, und er hört, dass da drinnen geflüstert wird. Lasse Nyman hat also Besuch. Er bleibt im Flur stehen und lauscht. Nach einer Weile hört er, wie gekichert wird. Lasse Nyman hat also weibliche Gesellschaft gefunden in Hallsberg, schon nach ein paar Tagen. Aber so soll es wohl auch sein. Schnell und frech. Und dass er die Tür hinter sich schließt, ist natürlich seine Sache. Anders geht in die Küche und gießt sich die erste richtige Dosis des Tages ein, gibt der Katze Futter und setzt sich an den Küchentisch. Nach einer halben Stunde hat er seinen Pegel erreicht und kann sich in der Zeit zurücktreiben lassen. WasLasse Nyman vorhat – und vor allem mit wem! –, wird sich früh genug zeigen. Aber dieses Gekicher. Auch das weckt Erinnerungen. In seinen besten Jahren, die gewiss nicht richtig gut waren, lag auch er nicht auf der faulen Haut. Während der endlosen Reisen durch ganz Schweden, der Auftritte in ausgekühlten Gemeindelokalen, Zelten und den nach und nach gebauten Volkshäusern gab es immer ein Hinterher . Nach der Vorstellung, beim Tanz, lud ihn manchmal jemand ein, mitzukommen zu irgendeiner Festlichkeit. Da war immer etwas los, und oft konnte er die Nacht im Bett bei einer willigen Frau verbringen. An die Gesichter erinnert er sich durchaus, manchmal auch an die Körper, aber selten an die Namen. Und an die Liebe selbst, die beinahe immer den gleichen Verlauf nahm. Zuerst kicherndes Abwehren, wenn er in der Dunkelheit anfing, das Hemd auszuziehen, dann die inbrünstigen Bitten, vorsichtig zu sein, während er sich weiter vorarbeitete, und schließlich der meist kurze Beischlaf, der damit endete, dass er ihn herauszog und auf den warmen und verschwitzten Bauch der Frau spritzte. Nicht ein einziges Mal während all dieser Jahre riskierte er, einer Frau ein Kind zu machen.
Nur mit Miriam war es anders. Miriam hatte er 1914 in Varberg getroffen. Der Krieg hatte begonnen, er war auf einer Tournee mit Schwente aus Flena , und eines Samstagabends sollten sie im Volkshaus von Varberg auftreten. Dort arbeitete Miriam in der Lazarettküche der Stadt. Zum ersten Mal in seinem Leben war er mit einer Heftigkeit verliebt, die er selbst für unmöglich gehalten hatte. Und sie erwiderte seine Gefühle. Von diesem Zeitpunkt an folgte sie ihm vier Jahre lang auf seinen Reisen durch das Land. Beide wünschen sich ein Kind, sie sparen jede Krone, um sich irgendwo ein eigenes Heim zu schaffen … Herrgott, wie genau er sich erinnert! Die langen Reisen in rüttelnden Wagen dritterKlasse, in zugigen Bussen, mit Pferd und Wagen. Und immer hielten sie sich an der Hand. Miriam mit ihren blauen Augen, dem hellbraunen Haar. Was machte es ihnen aus, dass sie sich manchmal nicht satt essen konnten? Dass der Traum, irgendwo zu wohnen, nur ein Traum blieb? Jedenfalls so lange, wie er darauf beharrte, ein Artist zu sein, der eben nie wusste, ob er ein Engagement bekam. Das Glück gab ihnen mehr als genug Kraft.
Mehr Alkohol. Zur Hälfte Klarer, zur Hälfte Rotwein. Eine Teufelsmischung, die entsetzlich schmeckt, die ihn aber wohl einen Schritt voranbringen kann, bevor es wieder Winter wird. Und es ist gut, dass er jetzt trinkt, da er an die glücklichen Jahre denkt. Draußen vor dem Fenster ist es endlich Frühling. Aprilsonne und Huflattich. Aber er ist irgendwo ganz anders. 1917, in Vagnhärad. Am Morgen sind sie aus Trosa gekommen, wo er vor einer Bauernversammlung aufgetreten ist. Um die dreißig Zuhörer. Seine Soldatenlieder haben denen am besten gefallen. Die Bauern waren betrunken und dachten an ihr eigenes Soldatenjahr. Draußen in der Welt ist ja Krieg. Da ist es gut, an seine eigenen Manöver in der schwedischen Heide zu denken. Es war ein guter Abend, er ist bezahlt worden, und Miriam hat ihm aufmunternd zugewinkt. Es ist ein Abend, an dem er seine ganze Seele in die Vorstellung legt, grimassiert und spottet, seltsame Bewegungen macht, auf die überraschendste Art dämlich und verzwickt aussieht … Ein guter Abend. Ein Abend, an dem er fühlt,
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