Daisy Sisters
vorzuweisen hat.«
»Du träumst.«
»Das kann dir doch scheißegal sein!«
»Fluch nicht.«
»Fluch selbst nicht! Schließlich hab ich das von dir gelernt.«
Ungefähr so, hin und zurück.
Anders steht im Flur, tritt von einem Fuß auf den anderen und fühlt sich wie ein ungebetener Gast im eigenen Haus. Was kümmern ihn deren Probleme? Er pfeift drauf, was sie da erzählen. Die einzige Befriedigung, die er dabei empfindet, ist, dass in dieser neuen Welt auch nicht alles so einfach zu sein scheint. Die Leute sitzen im Jugendgefängnis, Mütter und Töchter fluchen und ohrfeigen sich. Und trinken Schnaps mitten am Tag. In anderer Leute Küche. Dass Elna hübsch anzusehen ist und dass die Tochter auf dem Weg ist, es auch zu werden, ist die eine Sache. Mit allem anderen aber hat er nichts zu tun.
»Jetzt müsst ihr gehen«, trompetet er wie ein Kind nach einer missglückten Geburtstagsfeier. Und schon übernimmt die unpersönliche glatte Freundlichkeit wieder das Kommando. Elna entschuldigt sich für alles, was geschehen ist, und Eivor murmelt ein schwaches »Hej« zu Lasse Nyman hinüber, als sie aus der Tür schlüpft. Dann ist die Küche so leer wie gewöhnlich, die Katze wagt sich hervor, und aus der Kammer hört Anders Lasse Nyman wütend seine Spielkarten auf den Tisch knallen, eine nach der anderen.
»Ich verschwinde morgen«, sagt er, als er kurz darauf wieder in der Küche auftaucht. Der Ton ist jetzt ein anderer, aggressiver. Nicht gegen Anders, aber gegen die Welt gerichtet.
»Findest du, dass sie sich zu stark anmalt im Gesicht?«, fragt Anders, der jetzt wieder ordentlich voll ist.
»Zu wenig«, antwortet Lasse Nyman höhnisch. »Außerdem hat sie Pickel auf dem Rücken.«
Am nächsten Morgen gibt Anders ihm fünfzig Kronen und bekommt ein kurzes Nicken als Dank.
Dann verschwindet Lasse Nyman ohne ein weiteres Wort.
Es vergehen einige Wochen, es kommt der Erste Mai.
Der große Krawall einige Wochen zuvor scheint etwas zu sein, was nur in seinem Kopf geschah. Wenn er Elna trifft oder Eivor sieht, wie sie vor der Tür herumhängt, lustlos, sich ständig über das dunkle Haar streichend, lassen sie sich nichts anmerken. Nun ist es nur das gewöhnliche Nicken und Lächeln, und das Sonnenlicht ist so scharf, dass es ihm schwerfällt, ihre Pupillen auszumachen. Das ständige Saufen hat ihn lichtempfindlich gemacht. Jetzt geht er nur noch Branntwein und Wein kaufen, wenn Wolken am Himmel sind, lieber noch, wenn es regnet und die Luft kühl ist. Der Frühling ist so schnell gekommen, dass er sich beinahe überfallen fühlt. Er versucht daran zu denken, dass dies der letzte Frühling in seinem Leben ist, dass er beim nächsten Mal, wenn die Wärme nach einem langen Winter kommt, nicht länger mehr da sein wird. Aber er spürt nur eine dunkle Ohnmacht in sich, manchmal auch einen Klumpen im Hals. Und das will er nicht, da flüchtet er schnell wieder in seine Erinnerungen.
Aber er schaut weiter zu, wenn Elna sich auszieht, und jedes Mal wird er erregt. Es ist merkwürdig, dass dieser Trieb nie nachlässt.
Eines Abends sieht sie plötzlich direkt zu seinem Küchenfenster, und er zieht sich schnell zurück, als ob er entlarvt worden wäre. Aber er weiß, dass sie ihn nicht sehen kann, er sitzt so weit in der Küche, dass das Licht ihn nicht erreichen kann. Aber trotzdem …
Nach diesem Abend wird er vorsichtiger. Vielleicht ahnt sie etwas? Aber die Gardine zieht sie nicht vor.
Und Lasse Nyman? Anders ertappt sich oft bei der Hoffnung,dass er es schafft, einen Ausweg zu finden. Aber er bezweifelt es. Wer einmal geschlagen ist, wird immer wieder geschlagen, das ist seine Erfahrung. Das meiste ist schon mit dem ersten Erscheinen auf dieser Welt entschieden. Nur wenige schaffen es, über den eigenen Zaun zu krabbeln und dabei am Leben zu bleiben … Aber hoffen kann man ja immerhin. Wer weiß, vielleicht ist Lasse Nyman ein begabter junger Mann, eine Naturbegabung? Hat eine schöne Gesangsstimme? Vielleicht kann er zumindest ein Meister im Kartenspiel werden …
Aber viel öfter fragt er sich, wie es Lasse Nyman gelungen ist, Eivors Pickel auf dem Rücken zu entdecken. Was haben sie tatsächlich getrieben? Das Mädchen ist ja noch nicht erwachsen, erst vierzehn Jahre. Knapp entwickelt erst, wenngleich die Sommerkleider, die sie jetzt zu tragen beginnt, enthüllen, dass es sprießt und sich rundet, wo es soll …
In dieser Zeit beginnt er auch, laut mit sich selbst in der Küche zu sprechen. Meistens
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