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Daisy Sisters

Titel: Daisy Sisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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hübsch, verdammt hübsch. Warum wohnt sie nicht in Stockholm?
    Anders kann die Stimme fast hören. Laut, nasal, frech. Lasse weiß, dass verächtliches Reden Eindruck macht.»Diese eine Straße, die von einer Tannennadel zur nächsten führt. Willst du mit reinkommen? Der Alte ist draußen.«
    »Dann haben wir Karten gespielt«, fährt Eivor fort. »Und er hat gesagt, dass er auf dem Weg nach Göteborg ist, um sein neues Auto zu holen. Einen Ford Thunderbird. Dann würde er es gemütlich angehen lassen und nur herumfahren. Da er selbst Autoverkäufer ist, kann er ja arbeiten, wann er will. Keine festen Arbeitszeiten, nur, wenn er Lust hat.«
    Und dann der wichtige Zusatz:
    »So will ich auch leben. Nicht so wie hier.«
    »Du bist doch noch ein Kind. Du hast doch noch nicht mal die Schule beendet.«
    Er sieht, wie sie zusammenzuckt, und will retten, was zu retten ist. »So meinte ich das nicht. Missversteh mich nicht.«
    »Wie meinst du es denn?«
    »Du willst auch so leben, sagst du. Wie lebst du denn jetzt?«
    »Das weißt du doch.«
    »Ich weiß gar nichts.«
    »Ich habe nie meinen richtigen Vater getroffen«, sagt sie plötzlich.
    Der Rotwein rinnt angenehm den Hals hinunter, der haut rein, aber der Magen scheint resigniert zu haben. Oder ist er vielleicht gelähmt? Ihm ist aufgefallen, dass er viel seltener kotzt.
    »Und ich sitze hier und sauf mich zu Tode«, antwortet er.
    »Mama weiß auch kaum was über ihn. Es gibt keine Fotografie, und sie kann ihn nicht beschreiben. Er hieß Nils, das war irgendwann während des Krieges. Aber das Schlimmste ist, dass er nicht weiß, dass es mich gibt. Er läuft irgendwo rum und weiß nichts davon, dass er mich hat. Vielleicht ist er tot. Keiner weiß etwas. Klar, dass ich da wütend auf Mamawerde. Erik kann nie mein Vater werden, wie sehr er es auch versucht. Aber er ist nett.«
    »Das ist ja nun unangenehm«, sagt Anders langsam und unsicher.
    »Was?«
    »Keinen Vater zu haben.«
    »Es ist nicht lustig, ein Unglücksfall zu sein.«
    Herrgott! Kann es möglich sein, dass sie sich so erlebt? Als Unglücksfall, der hätte abgewendet werden können?
    »Mein kleines Mädchen«, sagt er und streckt seine Hand über den Tisch. Aber er erreicht sie nicht, sie zieht sich auf dem Stuhl zurück.
    Und das kann man ja verstehen. So schmutzig, wie er ist. Und nie kann man sich so ekeln, als wenn man jung ist. »Aber was willst du denn nun?«, fragt er.
    Das weiß sie natürlich nicht. Irgendetwas Unbestimmbares. Eine rastlose Sehnsucht, weg von hier, zuerst einmal das. Weg, dann sieht man weiter. Was auch immer, aber nicht das hier, nicht eine Minute länger als notwendig. Was hat Hallsberg mit der Welt zu tun? Wer steigt hier aus?
    Er nickt. Sie denkt ja wie er selbst.
    »Es ist gut, dass du dich sehnst«, sagt er. »Aber sehne dich nur nicht zu Tode.«
    »Deswegen will ich ja hier weg. Verstehst du denn gar nichts?«
    »Nein. Das hab ich dir doch gesagt.«
    »Bist du mir böse?«
    »Böse? Nein, nein … Aber es ist doch nichts verkehrt mit deiner Mama? Elna? Oder deinem Stiefvater?«
    »Das habe ich ja auch nicht gesagt.«
    Das Gespräch schleppt sich langsam weiter. Anders kann nicht sagen, ob er nun wirklich an dem interessiert ist, was er hört. Auf der einen Seite ist da seine Neugier, aber gleichzeitighat er es am ruhigsten mit sich selbst. Sich zu Tode zu saufen ist keine leichte Sache, das hat er eingesehen. Und manchmal ist es, als ob er sich nicht einmal auf seinen eigenen Willen verlassen kann, aus eigener Kraft zu sterben. Und was ist er ohne seinen Willen? Nichts. Vollständig hilflos. Er sieht sie an. Merkt sie das etwa? Nein, natürlich nicht. Und sie hat wohl, genau wie er, genug mit sich selbst zu tun. Wie alle anderen auch. Es ist sicher nicht leicht, nichts von seinem Vater zu wissen. Aber andererseits …
    »Lasse Nyman hat seinem Vater das Ohr abgeschlagen«, sagt er. »Und das war ein Fehlschlag. Er wollte den Schädel treffen.«
    »Du bist nicht gescheit«, zischt sie.
    »Ich sage nichts Schlechtes über Lasse«, verteidigt er sich. »Kümmere dich nicht darum, was ich sage, ich bin ein alter Kerl.«
    »Du bist betrunken.«
    »Das auch. Ich sitze hier und saufe mich zu Tode. Willst du wissen, warum?«
    Darauf antwortet sie nicht, aber er versucht, es trotzdem zu erzählen. Natürlich wird es missglücken, sie weiß ja nicht einmal, was ein Bauernkomiker ist.
    »Was bringen sie euch eigentlich in der Schule bei?«
    »Aufpassen, Gehorchen, Nachplappern«,

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