Daisy Sisters
Eher ist es ihm lieb.
»Zwei Mädchen sind sicher nicht das, was er sich gedacht hat«, gluckst er vergnügt. Elna schaut ihre Mutter an. Sie sitzt ruhig da, aber es sieht so aus, als ob sie auch mitwollte. Aber wer fragt sie schon?
Elna hat gelernt, dass Glaube und Hoffnung nie ausreichen. Aber seltsamerweise ordnet sich in diesem Fall alles. In einem Brief, der von ungezügelter Freude überschäumt, erzählt Vivi, dass ihr der verhasste Direktor des Hotels, in dem sie arbeitet, in einem Zustand sentimentaler Rührung nach einem furchtbaren Rausch zwei Wochen freigegeben hat. Natürlich ohne Lohn. Elna muss auch nicht kündigen, Ingenieur Ask gewährt ihr gnädigst unbezahlten Urlaub, die Familie wird sowieso einige Wochen mit der besseren Gesellschaft von Stockholm in den Schären verbringen.
Und so steht Elna eines Tages, an einem Nachmittag gleich nach Mittsommer 1941, auf dem Bahnsteig in Borlänge und wartet auf den Zug nach Norden. In einem der Wagen erwartet sie Vivi, das aufgegebene Fahrrad in einem Güterwagen, mit einem roten Taschentuch am Fenster winkend. Seit drei Jahren sind sie nun Brieffreundinnen, Elna hat über hundert Briefe gezählt, und nun werden sie sich endlich treffen, mit dem Zug nach Älvdalen fahren, zur abgelegenen norwegischen Grenze radeln, zum Fjäll, und allmählich wieder nachSüden ziehen, zum See Ejen und zu Hühnerpitters Heuernte in Skallskog. Die Ewigkeit ist plötzlich messbar: Vierzehn Tage, und jeder Tag bedeutet, dass die Freiheit aufs Neue entdeckt wird.
Elna ist hübsch, wie sie da auf dem Bahnsteig steht mit der Reisetasche zwischen den Füßen. Weißes Haarband, das die dunklen, widerspenstigen Haare zurückhält, weiße Söckchen, gelbes Kleid, Sandalen. Sie atmet heftig, als wäre die Aussicht auf die Zukunft anstrengend. Aber natürlich ist sie auch nervös. Sie stellt sich vor, dass Vivi, die vom südlichen Ende des Landes kommt, viel hübscher und stärker ist als sie, die in einer unansehnlichen Stadt wohnt, wo nicht einmal das Meer zu sehen ist, wie hoch man auch auf den Kirchturm klettern mag.
Sie wartet, unruhig und erwartungsvoll, voller widersprüchlicher Gefühle, wie die Situation es von ihr erfordert. (Doch hätte sie gewusst, dass sie als Resultat dieser Reise eine Tochter bekommen sollte, die in einer fernen Zukunft genau in dieser Stadt herumlaufen und unglücklich sein würde, da hätte sie sofort kehrtgemacht, wäre davongejagt, die staubige Landstraße entlang, bis sie wieder zu Hause in Sandviken gewesen wäre. Aber das Leben ist nicht so. Die Zukunft zeigt niemals etwas anderes als eine vorwitzige Nasenspitze, die hinter einem Vorhang hervorsieht.)
Da ist Vivi. Zuerst die zischende und schnaubende Lokomotive, Rauch und Quietschen, dann plötzlich ein rotes Taschentuch, das an einem Fenster eines Dritte-Klasse-Abteils vorbeifliegt, kaum sichtbar in dem beißenden Qualm. Und dazu ein Geheul in einem eigentümlichen Dialekt: »Da biste ja, Elna!«
Vivi, Vivi Karlsson. Tochter eines Werftarbeiters aus Landskrona. So sieht sie also aus: fast kreideweißes Haar, grenzenlos sommersprossig, stupsnasig, ein dunkler Zahnim Oberkiefer (nach einem Sturz von einer Klotreppe), klein, mager. Und gleich bei der Sache. Elna steigt in den Zug und lässt sich auf die Holzbank gegenüber von Vivi fallen, wirft Reisetasche und Schlafsack auf den Boden. Sie sagen kein Wort, bis der Zug sich ruckend wieder in Bewegung setzt. Sie sind frei und reisen, sie haben sich endlich getroffen.
»Hej«, sagt Elna.
»Hej, du«, antwortet Vivi.
Dann lachen sie. Schnell stellen sie fest, dass keine von ihnen so aussieht, wie die andere es sich ausgemalt hat. Nun ist es die Wirklichkeit, die gilt.
Insjön, Leksand, der glitzernde Siljan, Mora, und gegen Abend steigen sie in Älvdalen aus dem Zug und holen ihre Fahrräder aus dem Gepäckwagen. Ein beinahe leiser Abendregen empfängt sie. Vorsichtig öffnen sie die Tür eines abgestellten Güterwaggons und machen es sich dort für die erste Nacht bequem. Es riecht nach Dünger, aber Vivi schnüffelt herum wie ein witternder Terrier und entdeckt auf dem Bahnhofsgelände Zeitungen, die sie unter den Schlafsäcken ausbreiten können. Im Halbdunkel liegen sie und erzählen, manchmal sind sie still und lauschen auf den Regen, der auf das gewölbte Dach des Waggons tröpfelt.
Die ganze Sommernacht hindurch erzählen sie. Schlafen – das gehört in eine andere, weit zurückliegende Welt. Sie kriechen immer dichter zusammen,
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