Daisy Sisters
wickelt das Hemd um die blutige Hand. Der Sturm reißt an den Dachziegeln, es kracht und schlägt in den Holzwänden. Er sitzt im Dunkeln und fühlt den kalten Zug vom Fenster.
Als er die Hand auf seiner Schulter spürt, glaubt er, es sei der Tod, der da steht. So hat er ihn sich immer vorgestellt, wie eine Hand, die von hinten kommt, der letzte Polizist in seinem Leben.
Aber es ist Lasse Nyman, der zurückgekommen ist. Die Außentür war unverschlossen, der Sturm hat seine Schritte übertönt, und in der Dunkelheit hat Anders nichts gesehen mit seinen trüben Augen.
Es ist also nicht der Tod, sondern Lasse Nyman, und er setzt sich Anders gegenüber.
»Hast du Angst bekommen«, fragt er mit leiser Stimme.
»Nein«, antwortet Anders.
Lasse Nyman hat eine Papiertüte mit ein paar Bierflaschen bei sich. Anders schüttelt den Kopf, er hält sich an seinen roten Branntwein. Fragt, ob Lasse Nyman auch diesmal wieder hungrig sei. Nein, er will kein Essen, er hat seine Bierflaschen.
»Du lebst«, sagt Anders.
»Was, zum Teufel, hast du denn geglaubt?«
»Ich hab mich gefragt.«
»Es war die Hölle«, sagt Lasse Nyman. Aber er hat es geschafft, er ist nicht festgenommen worden, und das ist das Einzige, was zählt. Er hat draußen geschlafen, im Keller, im Hotel, wenn er Geld hatte. Aber Anders merkt, dass er noch verbitterter geworden ist, noch mehr von Hass und Verzweiflungerfüllt. Das Gesicht ist weiß und hart wie Gips, die schwarze Lederjacke schlottert über dem mageren Körper.
Er ist mit dem Auto gekommen, berichtet er. Einem Volkswagen, den er vor ein paar Tagen in Södertälje gestohlen hat.
»Vor einem Bauernhaus«, fügt er mit einem höhnischen Lachen hinzu. »Die liegen wohl auf den Knien und beten. Und so mies, wie das Auto ist, können sie es zurückhaben.«
Er hat es auf dem Parkplatz vor dem Bahnhof abgestellt und ist das letzte Stück zu Anders gelaufen.
»Wohin bist du unterwegs«, fragt Anders.
Er wundert sich darüber, dass der dünne Körper so viel Leid zu ertragen vermag.
»Die werden mich nie kriegen«, sagt Lasse Nyman. »Nie. Ich haue morgen wieder ab. Kann ich heute Nacht hier schlafen?«
»Das Bett steht, wo es immer steht.«
Lasse Nyman hat nichts weiter zu sagen. Er ist nur müde.
»Geh und leg dich schlafen«, sagt Anders. »Ich bleib hier sitzen.«
»Genau wie damals.«
»Genau wie damals.«
Am Morgen bittet Lasse Nyman Anders, Eivor zu holen.
Einen kurzen Augenblick ist Anders wieder auf der Hut. »Warum«, fragt er.
»Ich will sie nur begrüßen.«
Das klingt plötzlich so weich. Tja, er wird sehen, ob er sie abfangen kann auf dem Weg zurück vom Systembolaget. Mit seinen schmerzenden, kraftlosen Beinen muss er trotzdem raus und Schnaps einkaufen.
»Ich wäre gern selbst gegangen«, sagt Lasse Nyman. »Aber ich will mich nicht zeigen. Ich bin ein Nachttier.«
»Nur wegen Eivor?«
»Nur wegen ihr.«
Anders sieht sie am Küchenfenster. Er stellt sich vor die Eberesche und winkt ihr zu. Ein Schwarm Krähen erhebt sich. Sie winkt zurück, und es dauert eine Weile, bis sie versteht, dass sie auf den Hof hinunterkommen soll.
Er sieht in ihre Augen, die ihn an Miriams Augen erinnern.
»Was machst du?«, fragt Anders. »Bist du allein zu Hause?«
»Ja. Mama ist einkaufen.«
»Du hast Besuch.«
Sie versteht sofort, erstarrt und merkt, dass sie Herzklopfen bekommt. »Geh ruhig rein«, sagt er. »Er ist gestern Nacht gekommen.«
Als er dann mit seinen Flaschen zurückkommt, haben sie die Tür zur Kammer hinter sich geschlossen, wie er es erwartet hat. Aber jetzt ist er nicht irritiert. Im Gegenteil, zum ersten Mal seit langer Zeit empfindet er so etwas wie innere Wärme. Ein himmlisches Gefühl …
Nach einigen Stunden kommen Eivor und Lasse aus der Kammer, Eivor geht nach Hause, Lasse Nyman setzt sich ihm gegenüber an den Küchentisch.
»Ich hau heute Nacht ab«, sagt er.
Anders nickt und fragt, ob er Geld braucht.
»Na klar. Ein paar Zehner für Benzin …« Anders gibt ihm einen Fünfziger, alles wiederholt sich.
»Habt ihr euch nun begrüßt?«
»Haben wir.«
»Sie wird wohl in einigen Wochen in Örebro anfangen zu arbeiten.«
»Hat sie erzählt.«
Lasse Nyman brutzelt sich sein Mittagessen aus Eiern und Fleischwurst zusammen. Anders sieht seinen Kampf mit der Bratpfanne. Ein Auto kurzschließen kann er, ein Kartenspiel blitzschnell in zwei Stapel legen und mit den Daumen ineinanderfließenlassen, aber die Bratpfanne ist wie eine fauchende Katze in
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