Daisy Sisters
Küche. Sie liegen wach und lauschen den Vögeln, die in der Sommernacht singen.
Einen Tag später fahren sie heim, und obwohl sie es nicht eilig haben, fährt Erik ohne Aufenthalt bis nach Hallsberg. Es ist, als ob es eine Grenze dafür gibt, wie lange man es aushalten kann, freizuhaben, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen.
Anders steigt mit eingeschlafenen Beinen aus dem Auto. Er sieht sein Haus an und denkt, dass er hier sterben wird. Aber er lässt sich nichts anmerken, nimmt nur seine Tasche und bedankt sich, dass er mitfahren durfte.
»Das war doch nicht der Rede wert«, sagen sie.
Die Katze sitzt auf der Treppe und wartet auf ihn. Stumm, unergründlich.
»Da wär man also wieder zu Hause«, sagt Erik, als alles ausgeladen und das Auto abgeschlossen ist und man sich einen Gutenachtkuss gegeben hat.
»Morgen schreiben wir an Jenny Anderssons Schneideratelier«, sagt Elna.
Und Eivor nickt. Einige Tage bevor die Ferien zu Ende sind, kommt ein Brief an Elna von Vivi. Als sie auf dem Sofa sitzt und liest, schielt Eivor darauf und sieht, dass der Brief endet mit »Viel Glück!«.
Wobei, denkt sie. Wobei?
Aber Elna faltet den Bogen nur zusammen, stopft ihn in den Umschlag und sagt, dass Vivi grüßen lässt.
»Wie hat sie dir gefallen?«, fragt sie.
»Ja … Gut.«
»Sonst nichts?«
»Nein. Gut.«
»Es ist meine beste Freundin. Meine einzige.«
»Ja …«
»Das ist sie wirklich.«
Montagmorgen. Eivor wacht in ihrem Schlafalkoven auf und hört Erik in der Küche rumoren. Es ist sechs Uhr, er muss wieder zum Bahnhof. Sie hört, wie er vor sich hin summt, als er mit der Kaffeekanne und dem Brotkasten klappert.
Kann man so froh darüber sein, wieder zur Arbeit zu gehen?, denkt sie. Wenn das so ist, will sie schon morgen bei Jenny Andersson anfangen.
Es ist September geworden, der Monat der Ebereschenbeeren. Es dämmert immer früher an den Abenden, mit dem Morgenfrost kommt die große weiße Stille immer näher. Und damit wächst Eivors Unruhe. Es wird immer schwerer, sich in seine zerbrechlichen Träume zu hüllen und die Wirklichkeit ausgesperrt zu halten. Es ist, als ob sie sich hineinschleicht durch die undichten Fenster und ihre kalten, unsichtbaren Finger auf sie legt. Tagsüber näht sie mit Elna, da konzentriert sie sich nur darauf, dass die Nähte gerade werden. Aber mit der Dämmerung kommt die Unruhe zurück.
Die Zeit schleppt sich dahin bis zum ersten Oktober, langsamwie ein um sein Leben bangender Soldat hinter der feindlichen Linie. Auf dem Küchenkalender über dem Herd streicht Eivor die Tage aus. Sie kann nichts anderes tun als warten. Aber ist es wirklich das, was sie will? Nähen lernen bei einer Schneiderin in Örebro? Sie weiß es nicht, und sie weiß auch nicht, wie sie das Problem im Kopf lösen soll.
Aber da ist noch etwas, was sie erschreckt, was nicht stimmt.
Die Krähen kommen in schwarzen Schwärmen und plündern die Eberesche, die als Schildwache zwischen dem Mietshaus und Anders’ geducktem Holzhaus steht. Eivor drückt die Nase gegen die Scheibe. Alles ist grau, die Krähen picken, und Anders’ schäbige Katze streicht um den Steinsockel des Holzhauses.
Sie schüttelt sich, zittert. Die innere Kälte. Erwachsen zu sein, ohne zu wissen, wie sie mit sich selbst umgehen soll. In ihren Träumen ist alles so einfach, sie steuert, wie sie will. Aber sobald sie die Augen aufschlägt, sind die schweren Wolken da.
Immer seltener flüchtet sie sich zu Anders. Aber sie sprechen über ihn beim Abendessen, dass er kräftiger zu saufen scheint, dass sie wohl etwas unternehmen müssten. Aber was? Er hat eine Unnahbarkeit, die nicht zu durchdringen ist.
Eivor sieht ihn manchmal wie einen grauweißen Schatten, wenn er sich in seiner Küche auf seinen schmerzenden Beinen bewegt.
Sieht ihn und kann plötzlich in Tränen ausbrechen. Aber nur, wenn sie allein ist, wenn Erik bei der Eisenbahn und Elna irgendwo unterwegs ist. Niemals sonst.
September, der erste Herbststurm. Anders sitzt in der Küche, ein zerrissenes Hemd um die Hand gewickelt. Er ist gefallen und hat sich an einer Konservendose geschnitten, die auf dem Boden gelegen hat. Plötzlich knickte einfach dasBein weg, als er Kaffee kochen wollte. Es dauert lange, bis er aufsteht. Er hat die größte Lust, liegen zu bleiben, aber er weiß, dass er noch nicht so weit ist. Er würde sicherlich einschlafen, aber er würde auch wieder aufwachen. Und da steht er lieber auf, quält sich zurück zum Küchentisch und
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