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Daisy Sisters

Titel: Daisy Sisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Namen, die vorbeiblitzen, sind ihr unbekannt.
    Sie sitzt da und sieht ihn verstohlen an. Er ist so klein hinter dem Lenkrad, und das Gesicht ist so weiß und starr. Hat er wirklich so ausgesehen, damals, als sie ihn kennenlernte? Ihre Erinnerung an ihn ist ganz anders. War das etwa auch nur ein Traumbild? Sie zündet ihm eine Zigarette an, und als er sie entgegennimmt, weicht er ihrem Blick aus. Wovor hat er Angst? Kriegt man wirklich so einen verzerrten Gesichtsausdruck, wenn man ein Auto stiehlt? Tja, vielleicht muss das so sein. Was weiß sie schon? Auf jeden Fall nichts über ihn … Und sie weiß auch nicht, wohin sie unterwegs sind. Er offensichtlich auch nicht, denn oft bremst er an einer Wegkreuzung, zögert und kurbelt dann am Lenkrad, als ob es eigentlich keine Rolle spiele, wohin er fährt.
    Sie muss sich auf ihn verlassen, wer er auch ist, jetzt, wo sie den Absprung gewagt hat. Was auch immer geschieht …
    Das Auto rast durch die Nacht. Erst als der Morgen graut, schwenkt Lasse Nyman von der Hauptstraße ab, und das Auto holpert auf einer Art Pfad dahin. Dann stellt er den Motor ab und starrt stumm durch die Windschutzscheibe. »Nimm dir die Decke«, sagt er nach einer Weile. »Wir schlafen ein paar Stunden. Leg dich auf die Rückbank.«
    Ohne Einwände tut sie, was ihr befohlen wird, kriecht nach hinten und rollt sich in die Decke. Bevor sie sie über den Kopf zieht, sieht sie, wie er sich über das Lenkrad beugt. Das schwarze Haar ragt im Nacken über die Lederjacke …
    Sie wird davon wach, dass sie friert. Wie lange hat sie geschlafen? Draußen ist heller Tag, es ist nicht mehr windig, es ist kalt. Sie sitzt ganz still und schaut hinaus in den Wald. Hohe Tannen, eine unbewegte Landschaft. Auf dem Vordersitz schnauft Lasse Nyman, die Stirn auf dem Lenkrad. Er murmelt im Schlaf, es klingt wie eine Mischung aus Schluchzern und Flüchen. Vorsichtig öffnet sie die Tür und geht hinter eine Tanne, um zu pinkeln. Sie schaudert vor Kälte. Als sie zum Auto zurückkommt und auf den Rücksitz kriecht, erwacht er mit einem Ruck. Er starrt sie an, als ob er nicht wüsste, wer sie ist. Dann schaut er auf seine Armbanduhr. Es ist halb neun.
    »Wir müssen etwas essen«, sagt er. »Hast du Geld?«
    Sie schüttelt den Kopf. Er gräbt in seinen Taschen und findet den Fünfziger, den er von Anders bekommen hat.
    In Moholm hält er vor einem Laden, der schon geöffnet hat. Er gibt ihr den Fünfzigerschein. »Du gehst rein«, sagt er. »Kauf Brot und was zu trinken. Bezahl dafür. Aber das andere steckst du in die Tasche. Wir brauchen Geld für Benzin. Und vergiss die Zigaretten nicht.«
    Was denn anderes? Was meint er? Dass sie für ihn stehlen soll, aber was denn? Er zischt, dass sie sich beeilen soll, er will hier nicht länger als nötig stehen.
    Der Kaufmann ist freundlich. Er summt, während er das Butterpaket auspackt. Er fragt, was es denn sein darf. Einen Laib Brot, einen Liter Milch … Sie hat keine leere Flasche? Sonst noch was? Nein danke. Sie gibt ihm den Fünfziger und weiß absolut nicht, wie sie sich verhalten soll. Aber sie bekommt unerwartete Hilfe. Er hat noch kein Wechselgeld indie Kassenlade gelegt und verschwindet in einem Hinterzimmer. Mit klopfendem Herzen stopft sie ein Stück Fleischwurst in die Tasche, reckt sich über eine Glasvitrine und schnappt sich zwei Pakete John Silver. Ein Paket Florida fällt runter auf einen Stapel Bonbontüten, aber sie wagt nicht, es zurückzustellen, sondern legt nur eine Tüte darüber, und wenige Sekunden danach ist der Kaufmann zurück.
    »Der muss was merken«, denkt sie. »Ich sterbe … Ich schaff das hier nicht.« Aber der Kaufmann lächelt und gibt ihr vier Zehner, einen Fünfer und einige Münzen zurück.
    »Es ist Herbst geworden«, sagt er.
    »Ja«, murmelt Eivor und geht. Die Türglocke bimmelt, als die Tür hinter ihr zufällt.
    Er freut sich, er grinst zufrieden, als sie die Zigaretten und das Stück Wurst auspackt und ihm das Wechselgeld zurückgibt. »Du siehst«, sagt er. »Es ist nicht schwer.«
    Nicht? Sie hat immer noch Herzklopfen, das war das Schlimmste, was sie jemals gemacht hat. Sie möchte ihm das sagen, aber sie wagt es nicht. Sie merkt plötzlich, dass sie Angst vor Lasse Nyman hat, und jetzt ärgert sie sich auch, dass sie ihm überhaupt gefolgt ist. Aber wie soll sie wieder nach Hause kommen?
    Sie sitzen im Auto außerhalb von Moholm, verdrücken das Essen und trinken die Milch aus. Sie bricht nur ein kleines Stück Brot für sich

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