Daisy Sisters
und so schnell wie möglich will ich hier weg.
Es wird Samstag. Im Umkleideraum drückt Liisa Eivor einen Finger gegen die Brust. »Um sechs kommst du zu mir!«
»Ich weiß doch gar nicht, wo du wohnst!«
»Stell dich mitten auf den Marktplatz und ruf. Entweder kommt die Polizei, oder es kommt jemand und erklärt dir, wo ich wohne …Also im Ernst: Engelbrektsgatan 19. Auf dem Hof. Weißt du, wo das ist?«
Klar, Eivor erinnert sich an die Straße von ihrem missglückten Sonntagsspaziergang her.
»Tschüss. Und der Teufel hol dich, wenn du nicht kommst. Wir wollen zusammen in den Park …«
Und dann ist sie weg. Weg mit dem Wind …
Liisa teilt eine unmoderne Zweizimmerwohnung in einem verfallenen Haus mit einem anderen finnischen Mädchen, Ritva. Während Eivor in dem dunklen Treppenhaus nach dem Lichtschalter tastet, hört sie Blueberry Hill von Fats Domino durch die Wände. Liisa und Ritva wohnen im Erdgeschoss, ihre Namen stehen auf einem Zettel gekritzelt, der mit einer Heftzwecke befestigt ist. Die Klingel funktioniert nicht, und als auf Eivors Klopfen niemand kommt, poltert Eivor gegen die Tür.
Liisa steht in der Tür mit einem Glas in der Hand. »Hej«, ruft sie. »Willkommen in diesem Irrenhaus. Komm rein …«
Liisa und Ritva trinken Branntwein und Limo. Sie sitzen in Ritvas Zimmer, weil sie ein Bett hat, aus dem man tagsüber ein Sofa machen kann. Das Zimmer hat fleckige Tapeten, die Möbel sind einfach, aber Eivor spürt sofort, dass hier Leben herrscht. Sie begrüßt Ritva, die in Liisas Alter ist. Aber damit hören auch schon alle Gemeinsamkeiten auf, Ritva ist rundlich und hat helles halblanges Haar. Sie arbeitet in der Konfektionsfirma Lapidus, und sie ist schon länger in Borås als Liisa.
Ein kleines Grammofon mit Lautsprecher im Deckel steht auf einem Hocker vor dem Sofa, und auf dem fleckigen Holztisch liegt ein Stapel Single- und LP-Scheiben. Plattenhüllen kann Eivor nicht entdecken. Die Nadel kratzt, und die Lautstärke ist bis zum Anschlag aufgedreht.
Mitten auf dem Fußboden steht ein elektrischer Heizofen und glüht.
Liisa füllt ein Glas und gibt es ihr. »Skål«, sagt sie.
Eivor schüttelt sich, als sie es getrunken hat. Aber die beiden scheinen nicht zu merken, dass sie es nicht gewohnt ist, denn Blueberry Hill ist zu Ende. Die Platte landet auf dem Stapel, und Ritva greift nach einer neuen und legt sie auf den Plattenteller, ohne nachzusehen, welche. Eine gelbe Platte, Living Doll , Cliff Richard.
Es wird sieben Uhr. Über den Cognaks beginnen Ritva und Liisa zu beratschlagen, was an diesem heiligen Samstagabend geschehen soll. Keine von ihnen hat einen festen Begleiter, so viel versteht Eivor, obwohl verschiedene Männernamen durch die Unterhaltung schwirren. Sie nippt an ihrem Glas und versucht, dem Voranschreiten des Schlachtplans für den Abend zu folgen. Die einzige Frage scheint zu sein, ob sie erst runter zum Cecil gehen sollen, um zu sehen, ob jemand sie zum Park mitnehmen kann. Sonst bleibt nur der Bus.
Cecil oder nicht. Schließlich gibt die Uhr den Ausschlag. Es ist zu spät geworden, das Cecil muss warten. Kämme und Bürsten, Lippenstift und Taschenspiegel werden über den Tisch hin und zurück geschoben.
»Ist es gut so?«, fragt Liisa und dreht sich zu Eivor.
Sie nickt. Zu ihrer Erleichterung merkt sie, dass sie sich nicht sehr von den beiden unterscheidet. Das Make-up ist ganz ähnlich, die Kleidung auch. Bluse oder Pulli, Faltenrock oder Hose, das macht keinen so großen Unterschied.
Der Park liegt auf dem Weg nach Sjöbo. Eivor hat ihn gesehen, als sie mit dem Bus vorbeigefahren ist. Es sind viele Menschen in der Tanzhalle, sie bezahlt ihren Eintritt und bekommt einen seltsamen Stempel auf die Hand, als sie an dem riesigen Türwärter vorbeigeht, der die Eintrittskarten entgegennimmt. Der Stempel wird nur sichtbar, wenn man ihn unter eine Lampe mit bläulichem Licht hält.
Schaffe ich es, denkt Eivor. Mit wem soll ich tanzen, wensoll ich abweisen? Wo soll ich stehen, wo soll ich sitzen? Was soll ich sagen, wann soll ich ruhig sein?
Ihr ist ein wenig schwindlig von dem Branntwein, aber nicht so wie Ritva und Liisa, die die Flasche in der Handtasche mitgenommen haben. Sie sind auf dem Weg zur Damentoilette, um sie zu leeren, als Eivor plötzlich aufgefordert wird.
»Wir treffen uns hier«, ruft Liisa, und dann sind sie und Ritva in dem Gedränge verschwunden.
Der Mann, der sie aufgefordert hat, ist mindestens fünfzehn Jahre älter als sie. Er hat
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