Daisy Sisters
sich mit sturer Verbissenheit durch den Tag. Bekommt sie schlechtes Garn, das schnell reißt, so sieht Eivor, wie ihre Lippen sich in stummen Flüchen bewegen.
Aber sie lächelt auch. Mindestens einmal am Tag …
Liisa ist natürlich die, die das Sagen hat. Sie weiß, welche Garnsorten man vermeiden sollte und welche Maschinen störanfällig sind. Eivor schleppt Wagen mit neuen Paletten, gibt Spulen weiter und lädt, während Liisas flinke Finger die Fäden richtig einfädeln.
Akkord, das Tempo des Lebens. Auf allen Gebieten, was Eivor auch tut oder denkt, dreht es sich um den Akkord. Alles wird gemessen, die Norm ist die Leistungsfähigkeit. Es ist, als ob auch ihr Herz und Puls mitziehen bei dieser Treibjagd nach einem immer höheren Tempo und einem intensiverem … Ja, nach was eigentlich? Sie schuftet mit den Wagen, sie schwitzt, sie folgt Liisas Händen, die in verschiedene Richtungen wedeln, mach dies, hol das, nein, nicht das, DAS! Sie stempelt am Morgen ein, wartet darauf, dass Liisa ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammenbindet, und dann stürmt sie in der großen Maschinenhalle herum wie ein wildes Pferd. Das Herz klopft, der Rücken schmerzt, die Hände zittern, sodass sie kaum ihre Unterschrift auf den Kontrollzettel kritzeln kann. Sie denkt nicht einen einzigen wichtigen Gedanken, ehe die Pause beginnt.
Arbeiten, schlafen, essen. Die erste Woche vergeht, am Samstag um zwei Uhr stempeln sie aus. Liisa steht im Umkleideraum und fragt, was Eivor am Abend vorhat.
Was sie vorhat? Nichts. Sie will schlafen.
»Das kann man im Grab tun«, sagt Liisa. Aber mehr sagtsie nicht, und Eivor wird nie erfahren, welche Gedanken sie hegt.
Als sie das Essen zubereitet und sich aufs Bett gelegt hat, um kurz auszuruhen, schläft sie ein und erwacht vierzehn Stunden später, in derselben Stellung, vollständig angezogen. Da ist es Sonntagmorgen, kurz nach acht Uhr. Es hat einen Wetterumschlag gegeben, das Thermometer zeigt plus vier Grad.
Sie bekommt Lust, diesen ersten freien Tag zu nutzen, sie fühlt sich plötzlich voller Energie. Jetzt kann sie endlich herausfinden, wie die Stadt aussieht. Sie isst ein Butterbrot und trinkt ein Glas Milch, und nach der obligatorischen halben Stunde im Badezimmer geht sie nach draußen zum Bus ins Zentrum. Sie muss lange warten, weil Sonntagmorgen ist, und nur wenige Leute wollen so zeitig in die Stadt. Ein paar alte Menschen sind vermutlich auf dem Weg in eine der Kirchen der Stadt. Eivor steigt am Busbahnhof aus und geht zum Zeitungskiosk, um Kaugummi zu kaufen, aber der hat noch nicht geöffnet.
Was jetzt? Wo soll sie anfangen? Hier ist Södra Torget, ein guter Ausgangspunkt für eine Entdeckungstour durch die Weberstadt Borås. Hierher kommen die roten Busse am Morgen und laden ihre blassen und müden Passagiere aus, die sich dann in verschiedene Richtungen verteilen, von Geschäften und Fabriken geschluckt werden. Und von hier aus kehren sie am Nachmittag in die Wohngebiete in den Außenbezirken der Stadt zurück, genauso müde, genauso gehetzt. Auf der einen Seite des Marktplatzes fließt der träge Viskan, da drüben erstreckt sich der Stadtpark rund um das weiße Theatergebäude. Auf der anderen Seite des Marktplatzes liegt ein Kino, Saga, und im Haus daneben befindet sich die Konditorei Cecil. Eivor geht hinüber und sieht sich die Kinoplakate an. Bis jetzt hat sie noch keinen Lohn bekommen,erst kommenden Donnerstag kann sie damit rechnen, dass Vorarbeiter Hansson auch ihr eine Plastikhülle aushändigt. Eine Hülle, in der die Scheine schimmern, lockend, ehrlich verdient.
Vorher kann keine Rede von einem Kinobesuch sein, aber was hindert sie daran, zu sehen, was gespielt wird?
Das letzte Ufer. Mit Gregory Peck, Ava Gardner, Fred Astaire und ihrem Liebling Anthony Perkins, der so süß ist mit seinem Lächeln und den bettelnden Augen.
Sie streift durchs Zentrum und zählt sechs Kinos. Herrgott, jeden Abend sechs Filme zur Auswahl! Sie wird richtig aufgekratzt bei dem Gedanken. An Hallsberg zu denken, während sie hier herumgeht, ist fast unmöglich. Wie konnte sie dort so viele Jahre leben, ohne zu ersticken?
Sie geht zum Rathaus und zum Marktplatz und versucht festzustellen, ob sie Heimweh hat. Sie kann Elna und Erik in der Küche sitzen sehen, oder vielleicht machen sie einen Sonntagsspaziergang. Wenn er nicht gerade arbeitet …
Nein, das ist ja nun lange her, dass er sonntags zum Bahnhof runtergehen musste. Es ist erstaunlich, wie schnell sie vergisst … Aber
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