Daisy Sisters
kommt angerauscht, hochrot im Gesicht. DasGanze gefällt ihm auch nicht, es bedeutet für ihn Tadel von Levin, und der kann tadeln, bis man rot wird …
»Ihr hättet, verdammt noch mal, wohl bis morgen warten können«, zetert er.
Evald Larsson schüttelt den Kopf.
Dann zeigt er auf Eivor. »Hier hast du eine, die mitmachen muss«, ruft er. »Es ist deine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Neuen Beiträge bezahlen.«
»Ja, ja, verdammt … Hier ist so eine Fluktuation von Leuten, dass man nicht mehr mitkommt!«
Fluktuation? Einige Worte aus ihrem ersten Gespräch mit dem Personalchef klingen ihr plötzlich wieder im Ohr. Stabiler Arbeiterstamm. Kann das wohl wahr sein? Und warum arbeiten sie nicht?
Das alles muss Liisa mir erklären, denkt sie. Das will ich verstehen …
Die einzige Möglichkeit, Liisa zu erwischen, die es immer eilig hat, die Fabrik zu verlassen, ist, sie energisch am Arm zu packen.
»Ich hab keine Zeit«, sagt sie.
»Was hast du denn vor? Ich lad dich zu einem Kaffee ein.«
»Cecil?«
»Da ist so viel Rummel. Gibt’s kein Café am Volkshaus?«
»Da bin ich noch nie gewesen.«
»Ich auch nicht. Komm jetzt.«
Kaffee, Zuckergussgebäck und Berliner Ballen.
»Wie geht’s weiter?«, fragt Eivor, als der Plätzchenteller leer ist. »Gibt es wieder Akkordarbeit?«
»Das werden wir morgen sehen. Der Teufel soll sie holen …«
»Kannst du mir das alles nicht mal erklären?«
»Nein. Aber ich kann dir von meinem Großvater erzählen.«
Es gibt Augenblicke, in denen sich die Menschen plötzlich verändern. Wie jetzt Liisa, als sie ihren Großvater erwähnt. Da wird sie leise und sieht Eivor an, als erblickte sie eine weit zurückliegende Erinnerung. Und so ist es ja auch. Der Großvater ist ihre knorrige Wurzel, weit weg im fernen Finnland. Von ihm und seinem Leben hat sie ein Erbe, ein Misstrauen gegenüber allem, was von leitenden Ingenieuren und unehrlichen Vorarbeitern kommt. Wie sich die Zeiten auch verändert haben, Olavi Taipiainens Wort besitzt immer noch seine Gültigkeit.
»Was weißt du über Finnland?«, sagt sie.
»Nicht viel«, antwortet Eivor. »Beinahe nichts. Die Farben der Fahne sind Blau-Weiß …«
Und dann erzählt Liisa. Wie viel Eivor versteht oder nicht, ist unklar. Aber als sie einmal in Fahrt gekommen ist, kann Liisa nichts mehr aufhalten oder unterbrechen.
Sie erzählt von ihrem Großvater, der 1889 geboren wurde, Sozialdemokrat war und im Bürgerkrieg auf der Seite der Roten Garde kämpfte. Später wäre er dafür beinahe hingerichtet worden.
»Er wohnt bei uns zu Hause in Tammerfors, und als ich klein war, erzählte er mir dies«, schloss sie. »Ohne ihn wäre ich ein Idiot. Ohne ihn hätte ich nicht begriffen, dass wir von den Ingenieuren gerupft werden wie die Hühner. Wenn sie uns den Akkord nehmen wollen, so müssen wir … Es ist ja nicht möglich, vom Stundenlohn zu leben! Na ja, vielleicht, wenn man aufhört zu essen und in einem Zelt wohnt … Wenn sie den Akkord nicht bezahlen wollen, hören wir auf zu arbeiten. Das ist alles, was wir tun können. Und das haben wir heute getan. Und das machen wir morgen wieder, wenn wir den Akkord nicht bekommen …«
»Aber wenn sie … Wenn wir entlassen werden?«
»Na, wer soll dann ihr verdammtes Garn zwirnen? Sieselbst? Nein, man muss seinen Wert kennen. Kennt man ihn nicht, ist man überhaupt nichts wert. Und dann können sie mit einem machen, was sie wollen. Ich kann es nicht besser erklären …«
Eivor fragt, und Liisa antwortet. Eivors Fragen sind naiv, aber Liisa rümpft nicht die Nase, sondern versucht, sie zu beantworten, so gut sie kann.
»Du weißt ja gar nichts«, sagt sie und lacht. »Was hast du eigentlich gemacht, bevor du hergekommen bist?«
»In Hallsberg gewohnt.«
»Hast du da alleine gewohnt?«
»Nein … Aber einmal war ich auf einer Erster-Mai-Kundgebung. Daran erinnere ich mich jetzt. Mit einem alten Mann, der krank war.«
»Ist das alles?«
»Ja … So ziemlich.«
»Du hast noch viel zu lernen, du.«
»Da hast du wohl recht.«
»Aber das habe ich auch. Verdammt! Manchmal vermisse ich Großvater. Mehr als Papa und Mama und meine Geschwister. Er hat so eine verdammte Kraft … Aber im Sommer fahre ich nach Hause und besuche ihn.«
Das Café schließt zeitig, schon um sechs Uhr. Sie sind beide verwundert, als sie merken, dass sie fast zwei Stunden dort gesessen haben.
»Morgen müssen wir ausgeruht sein«, sagt Liisa, als sie in der Abendkälte auf dem Bürgersteig
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