Daisy Sisters
stehen. »Man muss bereit sein, wenn sie mit weiterem Unfug daherkommen. Man kann nie wissen. Fahr jetzt nach Hause …«
Aber am nächsten Tag steht Vorarbeiter Hansson an der Stempeluhr und sagt, dass der Akkord wie gewöhnlich weitergeht, der Bescheid kam vom leitenden Ingenieur.
»Aber was ist mit gestern?«, fragt Evald Larsson.
»Das werdet ihr an euren Lohntüten merken«, antwortet Hansson und kehrt in seinen Glaskasten zurück.
»Zur Hölle«, ruft Liisa ihm hinterher, aber das hört er natürlich nicht.
Betriebsrat Nilsson kommt atemlos herüber, gerade als die erste Pause beginnt, und verspricht, dass er tun wird, was in seiner Macht steht, damit das Lohnbüro ihnen nicht die Stunden abzieht, die sie nicht gearbeitet haben.
»Macht er das wirklich?«, fragt Eivor.
»Nein«, sagt Liisa.
»Na ja«, sagt Evald Larsson.
»Zur Hölle«, sagt Liisa.
»Na ja, so schlecht ist er nun auch wieder nicht«, brummelt Evald.
»Sollen wir wetten?«
»Ich hab kein Geld.«
»Nein, du hast kein Geld zu verlieren. Du weißt genauso gut wie ich, dass er es nicht wagt, sich gegen die da oben aufzulehnen.«
»Na ja«, antwortet Evald. »Wir werden sehen …«
Und diesmal ist er es, der recht behält. Niemand hat einen Abzug bekommen.
»Gut gemacht«, sagt Liisa, aber sie merkt nicht, dass Betriebsrat Nilsson verwundert darüber ist. Kann es ein Irrtum sein?
Klar, das kann es, und am Tag darauf bekommt der Oberbuchhalter im Lohnbüro vom leitenden Ingenieur Levin eine ordentliche Abreibung verpasst. Natürlich kann man jetzt nichts mehr ändern. Aber es ist unerhört, dass die Direktiven hinsichtlich des Abzugs nicht durchgeführt wurden.
Das darf nie wieder geschehen, und der Oberbuchhalter kann gehen.
Es wird kein langer und strenger Winter. Er lockert seinen Griff schon Mitte Februar; Eivor nickt zufrieden, als sie mit schlaftrunkenen Augen den kleinen Quecksilberanzeiger abliest. Es ist leichter, am frühen Morgen aufzustehen, wenn man keinen Kälteschock bekommt, sobald man aus der Tür tritt. Und besonders jetzt, wo sie Schichtarbeit macht und manchmal um drei Uhr aufstehen muss.
Eines Tages erhält sie eine Mitteilung vom Personalbüro. Man fordert sie auf, sich schnellstens eine andere Unterkunft zu suchen. Ihr Apartment wird für andere gebraucht. Sie liest die Annoncen in der Borås Tidning und im Västgöta-Demokraten , und eines Samstags, im Februar 1960, besichtigt sie eine Wohnung. Sie hat vom Speisesaal der Fabrik aus angerufen und mit einer Frau einen Termin ausgemacht. Als sie durch die Stadt geht, hat sie keine große Hoffnung, die Wohnung zu bekommen, die Frau am Telefon klang abweisend. Aber sie muss es immerhin versuchen.
Es ist ein altes Haus hinter dem Gerichtsgebäude, nicht weit von Liisas und Ritvas Wohnung. Sie bleibt auf dem Bürgersteig stehen und schaut sich das Haus an. Es sieht dunkel und düster aus, verglichen mit den Hochhäusern in Sjöbo. Aber hier so zentral zu wohnen? Zu Fuß zur Arbeit gehen zu können? Das wäre viel wert.
Sie spiegelt sich im Schaufenster eines Lebensmittelgeschäfts, das gleich nebenan liegt, und geht hinauf in den zweiten Stock. Die Tür zur Linken soll es sein. Es gibt kein Namensschild, sie klingelt und hört, wie es in der Wohnung schellt. Aber es ist keine Frau, die die Tür öffnet, es ist ein junger Mann in ihrem Alter; er trägt einen braunen Ulster, ein Halstuch und Wildlederhandschuhe. An den Füßen hat er Überschuhe. »Bist du Eivor Skoglund?«, fragt er und erklärt, dass seine Mama verhindert sei und er ihr darum die Wohnung zeigen solle.
»Anders Fåhreus heiße ich«, sagt er. »Bitte, komm doch rein. Hier ist es kalt, aber es hat ja keinen Zweck zu heizen, wenn niemand hier wohnt. Mama genügt es so, ihr gehört das Haus.«
Er führt sie durch die Wohnung, er scheint es schon oft gemacht zu haben, aber jetzt soll es rasch gehen.
Die Wohnung besteht aus Zimmer und Küche, sie ist heruntergekommen, aber es gibt immerhin ein Badezimmer mit einer gesprungenen Badewanne. Eivor spürt, wie es vom Fenster her zieht, die Korkmatten wellen sich, und die Farbe der Tapeten ist grellgelb. Aber trotzdem, so zentral zu wohnen, und die Miete: billig stand in der Annonce der Borås Tidning .
»Fünfundvierzig Kronen im Monat«, sagt Anders mit leicht nasaler Stimme, als könnte er ihre Gedanken lesen. Er hat sich eine Pfeife angesteckt und sitzt auf der Fensterbank. Das Licht einer Straßenlaterne scheint über sein blasses Gesicht und
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