Damals warst du still
fieberhaft nach, während sich Schweiß auf Stirn und Nacken sammelte.
»Herzog? Sind Sie noch dran?«
»Ja«, krächzte es aus der Sprechanlage.
»Weiß das sonst noch jemand?«
»Nein, ich...«
»Okay, Sie behalten das für sich. Erst mal. Wir checken, ob Samuel Plessen offiziell von Plessen adoptiert wurde. Sollte das so sein, dann können wir uns das sparen. Die DNS-Sache meine ich. Dann bleibt das unter Verschluss.«
»Gute Idee«, sagte Herzog, oder etwas Ähnliches, denn sie stand noch immer im Tunnel und verstand ihn kaum.
»Ich melde mich bei Ihnen«, sagte Mona und unterbrach die Verbindung. Ihr Gefühl, dass etwas nicht stimmte, hatte sich bewahrheitet. Warum hatte Plessen nichts von der Adoption gesagt? Oder wusste er gar nicht, dass Samuel nicht sein Sohn war? Sie mussten Plessen noch einmal überprüfen, seine Person, sein Umfeld, seine Vergangenheit. Plötzlich fiel ihr Forster ein. Plessens Schwester ist tot , hatte Forster in der Konferenz gesagt, aber dann nicht gewusst, ob Plessen Cousins, Cousinen, Nichten oder Neffen hatte. Das konnte doch nur eins bedeuten: Forster hatte diese Information über Plessens Schwester direkt von Plessen erhalten, sie aber nicht über die offiziellen Kanäle überprüft, weil er es für unwichtig hielt .
Plessen war auch kein zweites Mal befragt worden, denn warum hätte er zu diesem Thema lügen sollen?
Ja, warum?
Sie hatten alles richtig gemacht, nichts ausgelassen, Plessens direktes und indirektes Umfeld komplett durchermittelt. Und dennoch verlief jede Spur im Nichts. Klar war nur eins: Jemand, der Plessen so sehr hasste, dass er Menschen aus seinem engeren Umkreis tötete, musste Plessen gut kennen. Und Plessen musste ihn kennen. Alles andere war unlogisch. Plessen hatte aber behauptet, keine Ahnung zu haben, wer der Täter sei. Das war eigentlich unmöglich. Er musste etwas wissen, zumindest aber etwas ahnen oder vermuten. Etwas, das er ihnen nicht mitgeteilt hatte, obwohl ihm klar war, dass er damit Nahestehende in Gefahr brachte.
Ja, das war es gewesen, was an der Sache nicht stimmte, und Mona hätte sich ohrfeigen können, dass sie es nicht früher durchschaut hatte. Plessen war so erstaunlich wenig hilfsbereit gewesen, hatte so unglaublich wenig Engagement gezeigt. Er hatte zum Beispiel kein einziges Mal von sich aus im Dezernat angerufen, um sich nach dem Stand der Ermittlungen zu erkundigen. Alle Hinterbliebenen der Opfer von Gewaltverbrechen taten das, manche auf entsetzlich penetrante Weise. Nur Plessen nicht. Plessen hatte Trauer gezeigt, das schon, und die war, soweit man das beurteilen konnte, auch echt gewesen. Was aber fehlte, war die Wut, dachte Mona. Alle Hinterbliebenen wurden irgendwann von ohnmächtiger, selbstzerstörerischer Wut gepackt. Zweifelten am Sinn des Lebens, an der Gerechtigkeit der Welt, fühlten sich vom Schicksal im Stich gelassen, begehrten auf, einsam und verzweifelt. Mona dachte an die Vernehmung zurück. Plessens Frau Roswitha hatte furchtbar geweint, ihr Mann war blass und still gewesen. Voller Kummer. Aber nicht voller Zorn über den erlittenen Schmerz.
Das konnte damit zu tun haben, dass Plessen eben doch wusste, dass er nicht Samuels Vater war. Ein Stiefsohn war niemals dasselbe wie ein leiblicher Sohn, egal wie viel Mühe man sich gab – der emotionale Unterschied existierte, vor allem, wenn nicht beide Elternteile sich zu einer Adoption entschlossen hatten, sondern einer das Kind mit in die Ehe gebracht hatte. Wenn Plessen also Bescheid wusste – warum hatte er es ihnen nicht mitgeteilt? So eine Information behielt man einfach nicht für sich, nicht in einem Mordfall. Schließlich konnte man nicht ausschließen, dass Samuels richtiger Vater eine Rolle in diesem Fall spielte. Mona fuhr in die Tiefgarage und stellte ihr Auto auf dem Parkplatz ab. Im Lift grüßte sie ein Kollege aus dem Dezernat 14, und sie nickte ihm geistesabwesend zu. Sie musste das Protokoll über Forsters Vernehmung checken. Und dann noch einmal mit ihm darüber sprechen.
Plessen verschwieg ihnen etwas. Dessen war sich Mona sicher.
16
Mittwoch, 23. 7., 9.00 Uhr
Heute, am zweiten Tag, fühlte sich David schon fast heimisch in dem mit blauen Vorhängen dämmerig gehaltenen Raum. Sie hatten am Vortag noch längere Zeit über Sabine und ihre Familie gesprochen; David hatte nicht alles verstanden, aber im Großen und Ganzen schien Fabians Analyse von Sabines Schwierigkeiten logisch und zutreffend zu sein, und auch Sabine empfand das wohl
Weitere Kostenlose Bücher