Damals warst du still
erfahren hatte. Seine Eltern hatten es ihm nicht sagen wollen, weil er bei der Drogenfahndung arbeitete, aber schließlich hatte er es aus ihnen herausgeholt: Danae war offenbar schon seit Monaten tief drin in der Szene, und es grenzte an ein Wunder, dass er sie noch nie aufgegriffen hatte.
Was sollte er jetzt tun? Er konnte sich nicht weigern, ohne aufzufallen. Er konnte es nicht verschieben (und sich während der Mittagspause eine Story ausdenken), ohne aufzufallen.
»Okay«, sagte er mit heiserer Stimme.
18
Mittwoch, 23. 7., 9.00 Uhr
»Du hast es nicht offiziell gecheckt, stimmt’s?«, fragte Mona Forster, der mit gesenktem Kopf vor ihrem Schreibtisch stand. Sie nahm einen Schluck von ihrem dritten Kaffee innerhalb der letzten Stunde. Schwarz und stark. Mona zündete sich eine Zigarette an und zog den Rauch tief in die Lunge.
»Doch. Klar.«, sagte Forster, aber seine Stimme klang eher bockig als überzeugend.
»Karl. Du weißt nicht mal, ob Plessens Schwester verheiratet ist und einen anderen Namen hat beziehungsweise hatte. Du weißt nicht, wo sie wohnt beziehungsweise gewohnt hat.«
»Also...«
»Du hast dich auf Plessens Aussage verlassen und sie nicht weiter kontrolliert. Das ist so klar, das musst du nicht mehr abstreiten. Bitte check das jetzt nach, geh über die Standesämter, die Meldeämter etc., du weißt, wie’s funktioniert. Bitte check nach, ob sie noch lebt, ob es andere Geschwister, Nichten oder Neffen, egal was, gibt.«
»Warum soll Plessen lügen? Das seh ich einfach nicht ein! Ich meine, selbst wenn die Schwester von ihm noch lebt, das ist doch ganz egal, die kann’s doch gar nicht gewesen sein!«
Mona schloss kurz die Augen. Es war zu heiß und zu schwül für solche Diskussionen. »Karl, ich will, dass du das jetzt prüfst. Sofort und so schnell wie möglich. Ich will nur sichergehen, sonst nichts.«
»Man kann nicht jede Scheißaussage überprüfen. Nicht jeden unwichtigen Quatsch, den die absondern.«
»Und ich will, dass du prüfst, ob Plessen wirklich der Vater von dem Opfer ist.«
»Was?«
»Ja. Ich will wissen, ob Samuel Plessen offiziell adoptiert wurde. Und sobald du das gecheckt hast, will ich, dass du zu mir kommst.«
»Ich versteh nicht, was das soll, Mona. Wieso soll der adoptiert sein? Wie kommst du da jetzt drauf?«
»Geh jetzt, Karl. Und beeil dich.«
Forster drehte sich auf dem Absatz um, immerhin knallte er die Tür nicht hinter sich zu.
19
Mittwoch, 23. 7., 9.34 Uhr
»Gut, David«, sagte Fabian. »Dann werden wir deine Geschichte nach dem Mittagessen behandeln. Helmut, möchtest du gleich anfangen?«
»Ich?«
»Ja. Wir konnten..., wir hatten beim letzten Mal nicht genug Zeit für dich, und das hat mir sehr Leid getan. Jetzt haben wir alle Zeit der Welt.«
»Ja. Okay. Toll!«
»Also gut, dann geht bitte alle nach hinten. Stellt euch so auf, dass euch Helmut gut im Blick hat.«
Gehorsam wie die Schafe bewegten sie sich in die Zimmerecke, in der sie gestern schon gestanden hatten, bevor Sabine ihre Familie angeordnet hatte. Langsam begriff David das Prinzip. Es ging darum, die Strukturen einer Familie zu analysieren und...
»Es geht darum, die Strukturen einer Familie zu analysieren«, sagte Fabian. »Viele von euch haben den theoretischen Background ja bereits verstanden. Für diejenigen, die noch nie mitgemacht haben, möchte ich es jetzt kurz erklären.« David fragte sich, warum Fabian das nicht schon gestern getan hatte.
»Ich habe extra damit bis heute gewartet, weil man durch Anschauung mehr lernt als durch Erklärungen«, sagte Fabian, und David registrierte irritiert, dass es Plessen schon wieder gelungen war, seine Gedanken zu lesen. Dann sagte er sich, dass dies reiner Zufall sein musste. Er betrachtete Fabian aufmerksam, diesen Mann, der nicht so aussah, als würde er sich von irgendetwas beirren lassen – nicht einmal vom Tod seines einzigen Sohnes. Trotz seines zierlichen Körpers, seines sanften Lächelns umgab ihn eine Aura der Unbeugsamkeit und Unverletzlichkeit. Fabian war sich selbst genug. Er brauchte keine Liebe, keinen Luxus (obwohl dieses Haus genug davon bot) und auch keine Gesellschaft, außer vielleicht die seiner Jünger. Er konnte hier in dieser abgelegenen Gegend leben, mitten in der Natur, in der Nähe dieses seltsamen Dorfes, dessen Bewohner ständig abwesend schienen. Er vermisste offensichtlich nichts.
Von seiner Frau, die ihnen gestern das Mittagessen serviert hatte, ging eine vollkommen andere Ausstrahlung aus,
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