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Damals warst du still

Titel: Damals warst du still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa von Bernuth
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War es relevant, dass er sie über seine Schwester belogen hatte, oder wollte er der alten Frau nur einen Vernehmungsmarathon ersparen, der aus seiner Sicht sinnlos und quälend war? Mona zündete sich eine Zigarette an, bereits die sechste an diesem Tag. Wenn das hier alles erledigt war, musste sie ihren Konsum wieder herunterschrauben. Diese hier schmeckte nicht einmal. Sie musste wieder auf fünf, maximal sechs täglich kommen. Das würde sie mühelos schaffen, sobald sie diesen Fall vom Tisch hatten.
    Ja, ja, Mona, so wird’s sein.
    So muss es sein.
    Ja, ja. Reg dich ab.
    Die Hitze hatte nun ein Ausmaß erreicht, dass man – selten hier zu Lande – Abkühlung geradezu herbeisehnte. Regen – ja bitte! Kühle Luft, die den stickigen Dampf innerhalb von wenigen Stunden aus den Büros fegen würde – herrlich! Heute Abend sollte es Gewitter geben, die nächsten zwei Tage einen Temperatursturz von über dreißig Grad auf die Hälfte.
    Hoffentlich!
    Mona drückte ihre Zigarette aus und öffnete das Fenster. Sie nahm ihre Unterlagen für die Konferenz und wollte gerade das Zimmer verlassen, als das Telefon klingelte. Ein Doppelklingeln, das hieß, das Gespräch kam nicht aus dem Dezernat, sondern von außen. Mona überlegte noch, ob sie abheben sollte, dann fiel ihr die gelbzähnige Lehrerin ein, die Lukas beim Schwänzen erwischt hatte, und sie ging ergeben zurück zu ihrem Schreibtisch, schloss das Fenster wieder und griff nach dem Hörer.
    »KHK Seiler, Dezernat 11. Was kann ich für Sie tun?«
    Eine sehr bestimmte weibliche Stimme. »Haben Sie gerade bei mir angerufen?«
    Mona sah auf ihr Display. Es war eine lange Nummer mit Vorwahl. Es war die Nummer, die sie nun seit Stunden ohne Erfolg angewählt hatte.
    »Frau Kayser?«, fragte sie, ohne daran glauben zu können, dass es sich wirklich um Plessens Schwester handelte. Eine betagte Frau, die ein ISDN-Telefon mit Rufnummererkennung hatte – aber ohne Anrufbeantworter?
    »Ja. Sie haben mehrmals bei mir angerufen. Ich war einkaufen, und dann habe ich das Klingeln wohl nicht gehört. Aber ich habe Ihre Nummer auf diesem Dings da gesehen und dachte, ich melde mich mal, falls es was Dringendes ist.«
    »Ja... Das ist sehr gut, Frau Kayser. Hier ist Kriminalhauptkommissarin Mona Seiler. Haben Sie gerade einen Moment Zeit? Es handelt sich um Ihren Bruder.«
    »Fabian? Ist ihm etwas passiert?« Das klang nicht sonderlich besorgt. Nicht so, wie normalerweise eine Schwester von ihrem geliebten Bruder sprechen würde, wenn die Polizei bei ihr anrief.
    »Tja«, sagte Mona, »wie man’s nimmt. Ihm geht es gut, aber...«
    »Gott sei Dank. Ich meine, das freut mich für ihn. Wissen Sie, wir haben eigentlich kaum noch Kontakt. Ich weiß gar nicht, was er so macht.«
    »Nun, er...«
    »Das ist wirklich Jahre her, dass ich das letzte Mal was von ihm hörte. Ich bin ganz... Er hat sich nie gemeldet, die ganzen Jahre nicht. Als wär er aus der Welt.«
    »Also, das ist er nicht. Aber es gibt da etwas, wobei Sie mir vielleicht helfen könnten. Können Sie mal kurz dranbleiben, ich bekomme gerade einen internen Anruf.« Mona schaltete um, Berghammer war dran und wollte wissen, wo sie blieb. Sie sagte ihm, dass sie sich um zehn, fünfzehn Minuten verspäten und dann erklären würde, warum. Berghammer akzeptierte das und legte auf.
    »Frau Kayser? Sind Sie noch dran?«
    »Wie war Ihr Name noch mal?«
    »Mona Seiler, Kriminalhauptkommissarin. Ich...«
    »Wollen Sie mir vielleicht mal erklären, was das alles soll? Sie sagen, Fabian geht’s gut, aber Sie müssten mit mir reden. Was ist denn passiert, um Gottes Willen?«
    Mona holte tief Luft, und ging in medias res, bevor die Frau sie erneut unterbrechen konnte. Wenn Helga Kayser tatsächlich seit Jahren keinen Kontakt zu ihrem Bruder hatte, würde sie die ungeschminkte Wahrheit schon verkraften. »Der Sohn von Fabian Plessen, Samuel. Ihr – äh – Neffe. Er ist ums Leben gekommen. Auf gewaltsame Weise. Das Gleiche ist mit einer Patientin von Herrn Plessen passiert. Deshalb müssen wir miteinander reden.«
    »O Gott. Das ist ja furchtbar.«
    »Ja, das ist es, und deshalb müssen wir unbedingt...«
    »Das tut mir Leid für Fabian. Das ist ja entsetzlich. Der arme Junge.«
    Sprach sie von Fabian oder von Samuel Plessen, ihrem Bruder oder dessen Stiefsohn? Egal, irgendwie gestaltete sich dieses Gespräch als schwierig.
    »Haben Sie seine Telefonnummer zur Hand?«, fragte die Frau. Kaum zu glauben, dass sie schon sechsundsiebzig war.

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