Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick

Titel: Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
Vom Netzwerk:
vielleicht bereits morgen von einem Sandsturm zum durstigen Fremden verwandelt wird, der im Augenblick seiner Ankunft bei dem, der ihm Schutz geben kann, kein Verhör, sondern Wasser, Brot und Ruhe braucht. Deshalb verbot die Moral der arabischen Nomaden, dem Fremden in den ersten drei Tagen Fragen nach dem Woher und Wohin zu stellen. Diese freundliche Bewirtung des Gastes, damit er zu Kräften kommt, hat in Arabien einen Namen: Gastrecht.
    Der Fremde soll sich zuerst erholen, aber nicht länger als drei Tage. Danach muss man Genaueres wissen: Was will der Fremde und wohin führt sein Weg? Eine Gesellschaft, die unter härtesten Bedingungen überleben will, muss stets auf das Gleichgewicht zwischen Geber und Nehmer achten, sonst ist sie dem Untergang geweiht.
    Die Araber der Wüste identifizierten sich so weit mit dem Fremden, dass manche Stämme die ganze Nacht das Feuer besonders stark lodern ließen, damit der Schein dem irrenden Fremden den Weg zeigte, und wenn es stürmte, banden sie ihre Hunde draußen vor dem Zelt an, damit ihr Bellen dem Fremden in der Dunkelheit Orientierung bot.
    Diese grenzenlose Menschlichkeit, einen Fremden zu sich zu führen und zu bewirten, ohne zu wissen, wer er ist, verliehden Arabern den weltweiten Ruf großherziger Gastfreundschaft, und es bildeten sich unglaubliche Legenden und Märchen um das »Gastrecht«.
    Eine der bewegendsten Geschichten über Gastfreundschaft erzählt von einem Gouverneur, der bei einem unbarmherzigen Kalifen in Ungnade fiel und deshalb fliehen musste, in der Hoffnung, bei treuen Freunden in der Nachbarstadt Unterschlupf zu finden. Die Suchtrupps des Kalifen kamen jedoch immer näher, deshalb flüchtete er, blind vor Angst, in letzter Sekunde in das nächstbeste Haus.
    Der adlige Gastgeber nahm ihn auf, ohne ihn nach seiner Person oder dem Grund seiner Flucht zu fragen, vielmehr ließ er ihm in einem bequemen Versteck das allerbeste Essen servieren. Der Gast beruhigte sich, und bald merkte er, dass der Herr jeden Tag hinausritt und erst am Abend erschöpft zurückkehrte. Er fragte ihn nach dem Grund. »Ich suche den Mörder meines Vaters. Ich habe gehört, er sei auf der Flucht, nachdem er beim Kalifen in Ungnade gefallen ist. Er hat vor einem Jahr meinen Vater hinrichten lassen. Vielleicht habe ich Glück und erwische ihn, bevor die Suchtrupps ihn finden.«
    Als der Gast das hörte, war er sicher, dass Gottes Hand ihn zu seinem Henker geführt hatte, denn er erkannte, dass er der Gesuchte war, der als Gouverneur den Vater des edlen jungen Mannes hatte hinrichten lassen. Er fragte den Gastgeber zur Sicherheit nach seinem genauen Namen und dem seines Vaters, und als dieser die Antwort gab, war kein Zweifel mehr möglich. Der Gesuchte war er. Als er das aber dem Gastgeber eröffnete, wollte der kein Wort davon glauben: »Sind wir so schlechte Gastgeber, oder bist du deines Exils schon müde?«
    Der Gast versicherte jedoch dem Gastgeber, er würde natürlich am liebsten flüchten, aber da der Gastgeber ihn geschützthabe, empfinde er es als seine Pflicht, ihn nicht zu belügen. Und er erzählte dem immer stiller werdenden Gastgeber den genauen Hergang der Auseinandersetzung, an deren Ende sein Vater habe sterben müssen. Die Fakten, die der Gast dabei erwähnte, konnte sich niemand aus den Fingern saugen. Der Gastgeber wurde aschfahl. Lange schwieg er. Der Gast war sich sicher, dass nun sein eigener Tod bevorstand, doch der Gastgeber schaute den Mann nur an. »Du wirst beim himmlischen Richter dein Urteil bekommen. Ich kann dich nicht bestrafen, weil ich dir Gastfreundschaft und Sicherheit versprochen habe, doch ich möchte, dass du mein Haus verlässt«, sagte er schließlich. »Ich habe Angst um dich, wenn ich mich nicht beherrschen sollte.«
    Er bot dem Gast eine große Menge Geld, damit er sich unterwegs ernähren könne, doch der Gast lehnte ab. Es gelang ihm bald, seine Freunde zu erreichen, und er versteckte sich dort, bis der Kalif ihn begnadigte.
     
    Gastfreundschaft ist eine Einbahnstraße, die alleine vom Gastgeber zum Gast führt. Ihre Größe ist ein Maß der Erhabenheit und Freiheit des Gastgebers. Nur wer einen Fremden bewirten kann, ist frei von Angst und Sorge. Diese Moral rettete Hunderten, wenn nicht Tausenden von Fremden das Leben und schenkte ihnen Freude. Sie führte aber nicht selten auch zum Ruin des Gastgebers.
    Geiz galt bei den Arabern als entwürdigend, feige, lust- und lebensfeindlich, weil Geiz das Überleben verhindert. »Jedes

Weitere Kostenlose Bücher