Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick
nichtindem sie sich zur Wehr setzen gegen all diese Demütigungen, sondern sie legen ihre Ehre in einen ungewöhnlichen Ort. Sie, die die Frau im Rahmen der despotischen Sippe völlig verachten, legen ihre höchste Ehre in das Jungfernhäutchen der Frau; und wehe, eine versucht, mit diesem intimen Teil ihres Körpers zu verfahren, wie sie will: Dann wird gemordet, und der Staat genehmigt den Mord und sieht mildernde Umstände für die gewalttätigen Männer vor, weil sie angeblich ihre Ehre verteidigt haben. Das ist nicht absurd, das ist krank.
Im Gegensatz zu dem in der Seele eines Arabers tief verwurzelten Begriff der Loyalität gegenüber der Sippe sind Bürgerrechte, Staat, Sozialismus, Vaterland, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte verhältnismäßig neu und wurden nie erkämpft, sondern schlecht kopiert.
Das arabische Kind wächst in einer Gesellschaft voller Lüge auf. Eine der Hauptursachen liegt in einer typisch arabischen Krankheit namens »Gesicht wahren«. Die Kinder werden gedrillt, immer und unter allen Umständen nach außen dichtzuhalten, weil die Welt voller Feinde ist, die nur darauf bedacht sind, den Namen der Sippe in den Dreck zu ziehen. Nichts wird schlimmer bestraft als der so genannte Verrat an der Sippe. Das Kind lernt also, zu verheimlichen und mit doppelter Zunge zu sprechen.
Nicht der Fehler, nicht die Sünde selbst ist verachtenswert, sondern die Kunde davon. Nicht die Katastrophen der Gesellschaft sind bedrohlich, nicht einmal eine Epidemie oder die Rebellion einer Armee, sondern das Sprechen und Schreiben darüber. Wie oft musste ich die absurde Kritik hören, meine Kritiken seien im Grunde richtig, aber ich mache das Vaterland schlecht. Ich antwortete trotzig: Ich kritisiere nur dieDummheit, und wenn meine Kritiker diese als ihr Vaterland betrachten, so trennen uns Welten.
Die Selbstzensur hat also mehr als nur das politische System als Ursache. Jede Kritik gilt als Nestbeschmutzung, als Verrat. Man übergeht Fehler der Angehörigen mit Schweigen. Dieses »Gesicht wahren um jeden Preis« führt zu einer unnötigen Belastung der Denkart bei Kindern und später auch bei Erwachsenen. Das Leben in Arabien hat einen doppelten Boden: Denken und Sprechen. Man sagt nicht, was man denkt, man meint nicht, was man sagt, und glaubt das Gehörte nicht, sondern versucht es zu interpretieren. Um die Ecke zu reden mag eine Kunst sein, aber sie macht auf Dauer krumm, denn wir wohnen nicht nur in der Sprache, sondern werden von ihr bewohnt und entsprechend geformt.
Die Diktatur und die Angst vor Strafe fördern diese Spaltung. Die Diktatur selbst ist ein treues Kind dieser Gesellschaften. Sie spricht auch mit doppelter Zunge, quasselt von Sozialismus und betreibt Clan-, Vettern- und Mafiawirtschaft. Sie plärrt Tag und Nacht gegen den US-Imperialismus und schwärmt von der bevorstehenden Befreiung Palästinas, und insgeheim hält sie Kontakt zu israelischen Militärs, empfängt Gelder aus Saudi-Arabien und lässt die CIA an ihre Archive, die sie über die eigene Bevölkerung angelegt hat.
Da die Freiheit des Wortes mit Füßen getreten wird, kann man primäre Nachrichten nicht über den eigenen Rundfunk oder die Zeitung bekommen. Es war bereits zu meiner Kindheit ein verbreiteter Spruch, der später in viele Theaterstücke Eingang fand: »Schalte auf BBC, um zu erfahren, was bei uns los ist.«
Ruhmvolle Geschichte und miserable Gegenwart
Das Wissen war organisch mit dem Palast verschmolzen, mit der herrschenden Schicht. Hier wurde auf höchstem Niveau diskutiert, musiziert, geforscht, geschrieben, erzählt und gedichtet. Wir können uns heute kaum vorstellen, was für Schätze an Büchern die Araber in ihren Bibliotheken hatten. Die Palastbibliothek von Córdoba hatte 400 000 Bücher, von denen nur ein einziges Buch vor der Vernichtung der spanischen Truppen nach Marokko gerettet wurde. Es liegt heute in der Bibliothek der Karawijinmoschee. Da Bücher langsam brennen, beschlossen die ungeduldigen Mongolen, die Bagdad 1258 eroberten, sie in den Tigris zu werfen. Die Tinte löste sich auf, und der Fluss trug lange Trauer.
Die Wissenschaftler, Philosophen und Dichter waren also von der Gnade und dem Brot des Herrschers abhängig. War der Herrscher offen und hatte Visionen, so trieb er das Wissen und die Kultur vorwärts, verdüsterte sich der Palastgeist, traten die Kulturträger auf der Stelle und beteten leise zu Allah, er möge dem Herrscher einen geeigneten Mörder
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