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Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick

Titel: Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Mächtigen, denn nur die Hofdichtung wurde durch professionelle Schreiber auf Papier gebracht und damit verewigt. Wer abseits stand, hatte kaum eine Chance, seine Zeit zu überleben. 95 Prozent der Dichtung, die uns überliefert ist, stammt aus diesen Kreisen. Geschrieben wurde in unmittelbarer Nähe des Herrschers, das Volk oder besser gesagt die Völker draußen blieben der mündlichen Kultur verbunden und kommen daher in der überlieferten Dichtung kaum vor.
     
    Die Wurzeln einer kranken Gesellschaft
     
    In der Diktatur arabischer Prägung herrscht ein Mann über Untertanen, die ihm wie eine Schafherde folgen. Das Wort Bürger, Muwaten , hat kaum noch Realität. Häufiger werden die Menschen Ra’ija genannt, was zugleich Herde bedeutet.
    Der Diktator bekommt nicht einmal einen Regulator durch die Interessen einer Schicht oder Klasse. Er ist einsam wie Gott. Bei manchen Herrschern habe ich den Eindruck,dass ihre Einsamkeit so perfekt ist, dass sie wie Autisten ihre Umgebung nicht wahrnehmen. Sie leben nur in ihren eigenen Vorstellungen.
    Es ist nicht richtig, dass die arabische Diktatur Intellektuelle an sich hasst. Sie hasst die aufmüpfigen Menschen.
    Mu’awija I., der Gründer der Omaijadendynastie, die fast 90 Jahre herrschte, leitete die Unterdrückung ein, die bis heute andauert. Bis dahin herrschten die Nachfolger Muhammads noch bescheiden und ließen viele Freiräume. Er, der erste moderne Despot der Araber, beherrschte ein Weltreich und verkündete offen seinen Umgang mit Intellektuellen: »Wer nicht zwischen uns und der Herrschaft trennen will, dem trennen wir nicht die Zunge.«
    Auch der legendäre Saladin, der in jedem europäischen Gedächtnis in einem freundlichen Licht steht, nur weil er dem Abenteurer Richard Löwenherz gnädig war, war ein Ausbund an Intoleranz. Man erzählt weder in Europa noch in Arabien, dass er ein gnadenloser sunnitischer Fanatiker war, der Schiiten in Ägypten und Syrien verfolgt und dezimiert hat und der Sufis gehasst hat wie kein anderer vor ihm.
    Als der Islamgelehrte al Sahrurdi seine Herrschaft kritisierte, befahl Saladin seinem Sohn, al Saher, dem König von Aleppo, den Gelehrten eigenhändig zu töten. Der Sohn zögerte aus Achtung vor al Sahrurdi. Da ließ Saladin seinen Sohn wissen, wenn er den kritischen Gelehrten nicht töten wolle, würde er mit sofortiger Wirkung abgesetzt. Der Sohn gehorchte.
    Das Unglück der Intellektuellen lag darin, keinen Fluchtpunkt zu finden. Die arabische Stadt war ein Zentrum der Macht: Dort und nur dort pulsierte die Kultur, aber dort herrschte auch ein gnadenloser Kalif, Sultan oder König. Das war so in Damaskus, Bagdad, Kairo und Istanbul, und dieserZustand war das Damoklesschwert über den Köpfen der arabischen Intellektuellen. Es gab nur die Alternative zwischen der absoluten Unterwerfung unter den Herrscher und dem Verlust der Zunge oder des Lebens. Alle bekannten Denker gingen durch diese Krise. Der Despot hatte keinen Respekt davor, dass die in Ungnade Gefallenen großartige Werke über den Islam (Abu Hanifa, Malik), über Philosophie (Ibn Ruschd), dass sie bedeutende Übersetzungen (Ibn al Mukafa’) oder Dichtung (al Mutanabi, Baschar ibn Burd) geschrieben hatten. Er ließ sie öffentlich demütigen und einige nach bestialischer Folter töten.
    In der Stadt waren und sind der Herrscher und seine Handlanger überall. Die Menschen sahen und sehen bis heute aus unmittelbarer Nähe die Brutalität, mit der ganze Familien, Sekten oder Parteien vernichtet werden, die noch bis gestern dem Despoten nahe standen. Das erzeugt permanente Angst und Opportunismus und macht die Bevölkerung schizophren: Sie gehorcht öffentlich – im Geheimen jedoch leistet sie Widerstand, und zwar eine Variante des Widerstands, die der Diktator erfährt und insgeheim erlaubt. Und das ist bis heute so. Man lügt in allem, was man tut, man fälscht Statistiken und verwandelt wirtschaftliche Katastrophen in Erfolgsmeldungen, man stiehlt, lässt sich bestechen und faulenzt auf Kosten des Staates, man hält sich für schlau und erzählt Witze über den Diktator, die bisweilen wirklich verletzend für Mensch und Würde sind, aber der Diktator betrachtet sie samt und sonders nur als Blöken seiner Schafe.
    So ist diese Art von gegenseitiger Lüge neben der arabischen Sprache eine der elementaren gemeinsamen Eigenschaften arabischer Länder.
    Nur in einer kranken Gesellschaft sehen gedemütigte Männer ihre Ehre nicht in der Verteidigung ihrer Würde,

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