Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick
Schlüssel zu Goethes Geheimnis gewesen: Goethe führte nicht nur Dialoge – er war selbst ein Dialog.
Sein Gesprächspartner in seinem west-östlichen Dialog war – wenn es nicht gerade um Liebe (Suleika) ging – ein Verwandter im Geist: der persische Dichter Muhammad SchamseddinHafis aus Schiras, der Gelehrter für Theologie und Sprache und ein Gegner jeglicher Orthodoxie war. Er schrieb viele zarte Liebeslieder. Hafis hat, genau wie Goethe, in einer Zeit des Krieges und der Zerstörung gelebt – eben der der Mongolen unter Führung des erwähnten Timur-Leng. Hafis ist neben Dschalaleddin Rumi und Saadi einer der größten Dichter Persiens. Ihm widmete Goethe ein ganzes Kapitel des Divan .
Die Strophen über Hafis ehren nicht nur diesen, sondern auch Goethe selbst. Er, der damals bekannteste und größte Dichter deutscher Zunge, verneigte sich vor einem in Europa so gut wie unbekannten persischen Dichter, einem Lyriker, der fünfhundert Jahre früher gelebt hat.
Goethes Umgang mit Hafis ist immer noch ungewöhnlich progressiv, vergleicht man ihn mit heutigen deutschen Autoren, die ihre erlernten germanistischen Kategorien und Schablonen im Hinterkopf haben, wenn sie über das Werk eines ausländischen Autors schreiben. Selten fühle ich mich isolierter und einsamer als in solchen Augenblicken. Meine Glieder schmerzen durch die Enge des aufgesetzten Korsetts.
Es ist die universelle Seele, die Goethe leitet und ihn in manchen seiner Haltungen konservativ oder desinteressiert erscheinen lässt, weil er sich, statt sich mit lokalen Querelen zu befassen, mit Hafis poetisch und innig unterhält. Man könnte das, wie ich anfangs angedeutet habe, ohne weiteres Flucht vor den erdrückenden politischen Zuständen im Europa jener Zeit nennen. Aber mit dieser Flucht rettete er sich und versetzte zudem seine Seele in prophetische Höhen. Nicht zufällig nennt er das erste Gedicht Hegire (arab. Hidschra , was den rettenden Ritt des Propheten Muhammad von Mekka nach Medina meint).
Ich wäre froh, würde mancher deutsche Autor der heutigenZeit uns seine politischen Kommentare und Verrenkungen ersparen, vor der dauernden Unruhe unserer Zeit flüchten und nach einem Jahrzehnt Verse wie diese liefern:
Was klagst du über Feinde?
Sollten solche je werden Freunde,
Denen das Wesen wie du bist
Im stillen ein ewiger Vorwurf ist?
WER ZWISCHEN DEN STÜHLEN SITZT,
VERTEIDIGT KEINEN
Ein Brief an Adelbert von Chamisso
Lieber Großvater,
Der Erika Klopp Verlag wandte sich an mich, einen Deiner Ururenkel, mit der Bitte, ein Vorwort für Deine Biographie zu schreiben. Ich stimmte sofort zu, obwohl ich mitten in einer Erzählreise bin, die mich durch Hunderte von Orten führte, auch an solche, an denen Du auch einmal verweilt hast. Berlin und Hameln waren zwei dieser Städte, die für Dich entscheidende Bedeutung hatten.
Nun, auf dieser Reise nahm ich alle möglichen Bücher über Dich mit. Die Hotels sind noch langweiliger geworden als zu Deiner Zeit, deshalb vergnügte ich mich mit Dir. Ich studierte Dein Leben und Werk zum zweiten Mal. Damals, als ich den erstmals verliehenen Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis bekam, kannte ich nur Deinen Schlemihl . Ein Buch erschien danach über Dich und uns. Sein Titel: Chamissos Enkel . So kam ich zu Dir, Großvater!
Nun las ich die vorliegende Biographie, eine von Robert Fischer nüchtern, aber spannend geschriebene Würdigung Deiner Person, die weder meiner Fürsprache noch meines Vorwortes bedürfte.
Da ich auch kaum Vorworte lese und nicht gerne schreibe, was kein Mensch lesen will, habe ich meine anfänglichen Entwürfezu einem ernsten und sehr geschwollenen Vorwort in den Papierkorb geworfen. Am besten, dachte ich, schreibst Du dem Opa einen Brief. Ja, Großvater, Du lebst frischer denn je, und das 152 Jahre nach Deinem physischen Tod. Sei sicher, ich würde Toten nicht schreiben, auch wenn sie noch atmeten. Du aber lebst. Vor einem Jahr noch las ich in einer Literaturzeitschrift Dein Gedicht über den Säufer Hans Jürgen und wie ihn seine listige Frau bestrafte. Ein kluges Gedicht.
Großvater, mein Brief entsteht unterwegs und ist zerstückelt wie mein gegenwärtiger Alltag. Ich schreibe Dir im Hotel, Café und Zug, und ich will den Brief so lassen, wie er entstanden ist. Geschliffene Briefe mag ich nicht.
Donaueschingen, 2.2.90
Die Erde hat sich seit Deinem Tod sehr verändert. Sie ist noch kleiner geworden; Länder und Kontinente rückten zusammen, und doch
Weitere Kostenlose Bücher