Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick
sind sich die Menschen noch fremder geworden.
Weinheim, 5.2.90
Viele Verdienste hast Du. Eine Insel, ein Platz in Berlin und viele Straßen in Deutschland tragen Deinen Namen, doch das interessiert Dich, wie ich Dich kenne, kaum. Deine Werke werden immer wieder herausgegeben. Viele Deiner Gedichte aber verblassten mit der Zeit, denn auch die Liebe ist anders geworden, nüchterner. Deine sentimentalen Liebeslieder singt heute kaum mehr einer. Sei nicht traurig, auch wenn von Dir alles verschwindet, so bleibt Dein Schlemihl unsterblich! Heute lässt sich dieses wunderbare Werk genau so lesen, wie Du es damals den Kindern auf dem märkischen Gut bei Kunersdorf erzählt hast. Kunst ist, was bleibt. Das haben die alten Griechen schon gewußt.
Viele Ururenkel hast Du inzwischen, auf die Du stolz sein kannst. Sie schreiben in fremder Zunge, und ihr Herz wird nicht gespalten, sondern reicher und bunter dabei.
Bad Bevensen, 7.2.90
Deine Menschenliebe und Achtung vor fremden Kulturen haben Dich dazu veranlaßt, die Lieder und Gebräuche auf Ratak aufzuzeichnen und damit ein Zeugnis für die Nachwelt zu hinterlassen, denn bald fielen die Missionare über die Kultur her und walzten sie nieder. Missionare gibt es heute nicht mehr, dafür McDonald’s, der die Walze weitertreibt.
Berlin, 15.–16.2.90
In Deiner Stadt Berlin entstand einst eine Mauer. Sei froh, daß Du sie nicht erlebt hast. Du hättest bestimmt keine Erlaubnis bekommen, nach Deinem geliebten Halle zu fahren. So wie Du ausgesehen und Dich benommen hast, hättest Du eine Antwort mit sächsischem Akzent erhalten: »Sie sind in unserer Deutschen Demokratischen Republik unerwünscht!« Ich habe genau diesen Bescheid erhalten, gratis und ohne Grund.
Nun krachte die Mauer zusammen, die die Stadt über 40 Jahre in zwei Teile trennte, doch da ist etwas Wundersames passiert. Dir kann ich es ja erzählen, denn viele deutsche Freunde glauben es einfach nicht.
Statt diese häßliche Mauer beschämt zu begraben, fingen die Deutschen an, sie mit Picke, Hammer und Hacke zu zerteilen. Sie schenkten sie Freunden, als wären die grauen Brocken Blumen oder Muscheln aus exotischen Ländern, ja, es gab sogar regen Handel mit den häßlichen Mauerbrocken. Viele meiner Freunde stellten die Stücke auf ihre Regale, andere hoben sie in mit Samt gefütterten Schachteln auf, alswären sie Juwelen. Die hasserfüllte Mauer rächte sich bald. Mein Freund Herrmann hatte ein solches Stück auf dem Regal. Wir tranken Wein in seinem Zimmer in Kreuzberg. Er saß mit dem Rücken zum Regal und bemerkte nichts. Ich aber sah, wie der Mauerbrocken von Minute zu Minute größer wurde. Seine scharfen Kanten näherten sich dem Kopf meines Freundes. Ich schrie, er solle weg von der Mauer kommen, doch er lachte mich aus. Eine scharfe Kante stieß Herrmann an die linke Schläfe. Er blutete leicht. Plötzlich fing er an, mir mit glänzenden Augen von Deutschland zu erzählen und von der weltweiten Verschwörung, die sich gegen ein großes und friedliches Deutschland gebildet hat.
Ich stand erschrocken da und flehte ihn mit trockener Kehle an, er soll sich vor der Mauer retten, doch er wischte mit seiner flachen Hand das Blut weg und fragte: »Wegen dieser kleinen Schramme?« Und er schimpfte auf die Polen. Ich rannte in die Nacht hinaus, seitdem sehe ich viele Menschen, bei denen die verfluchte Mauer sich – genau wie bei Herrmann – durch eine kleine Wunde in den Kopf hineingeschmuggelt hat; unsichtbar ist sie und dicht wie keine Mauer der Welt.
Gerhard Polt, einer der besten Satiriker dieses Landes, würde Deinen Namen, meinen und das Gefühl einer Minderheit in diesem Land, die genau wie Du immer zwischen allen Stühlen sitzt, in dieser Zeit mit einem Satz beschreiben: I scham mi so!
Verstehst Du Bairisch?
Wolfenbüttel, 19.2.90
Großvater, weißt Du, welche Frage die dümmste ist, die einem ausländischen Autor hier gestellt wird? Warum schreiben Sie auf Deutsch? Wenn man nach dem »Wie« fragenwürde, wäre die Frage gar nicht dumm, doch »Warum«! Ich habe mich anfangs bemüht und bekam irgendein Gebrabbel heraus, doch seit ein paar Jahren antworte ich lächelnd: »Weil die Deutschen kein Arabisch können!« Gut, was? Schluss damit. Auch das Geplapper von den gespaltenen Seelen eines Emigranten kann ich nicht mehr hören. Manche haben zwei, andere entdecken drei Seelen in sich, und manch ein Emigrant behauptet bald, er habe gar keine Seele und Identität. Das ist
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