Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick
, sondern Der östliche Divan vom westlichen Verfasser . Der Titel ist nicht falsch, denn es sind östlich empfundene weise Gedichte eines westlichen Dichters. Merkwürdig ist nur die Wahl des Wortes Verfasser, arabisch Mu’allef , das man in Arabien eher für Prosaschriftsteller benutzt, statt des Wortes Scha’ir für Dichter.
Goethe hat sich seit seiner Straßburger Zeit mit dem Orient beschäftigt. Unter dem Einfluss Herders versuchte er sich 1772 an einem Drama über den Propheten Muhammad; es blieb jedoch Fragment. Etwas später las er die arabische Dichtung Mu’allaqat , und bis 1800 studierte er eingehend denbiblischen Moses und Voltaires Drama Mahomet , das er 1799 übersetzte. Ab 1813 beschäftigte er sich mit der orientalischen Poesie. Vor allem der persische Dichter Hafis hat ihn tief beeindruckt. Und sicher wissen wir die Zeit der Entstehung des Divan : 1814 bis 1819.
Seit dem Abdanken Napoleons 1814 herrschte Frieden in Europa, doch die Napoleonischen Kriege hatten Goethe tief erschüttert. Kein Friedensvertrag konnte seine Unruhe beschwichtigen. Auch die Enge der Weimarer Verhältnisse trieb ihn wieder zur Suche nach Rettung. Man kann vieles an Goethe leichter verstehen, wenn man sich vor Augen hält, dass der begnadete Dichter sein Leben lang einen poetischen Bildungshunger spürte, der ihn rastlos machte. Goethes Suche wurde zur Sucht und war im Grunde die Geburtshelferin vieler gewagter Schritte, die er unternahm. Doch wie sehr musste es den Dichter schmerzen, dass er »nur« als der Autor des Werther galt, sosehr er sich auch um andere Themen bemühte und was auch immer er sonst schrieb.
Der West-östliche Divan wurde beim Erscheinen von der Fachwelt sehr unterschiedlich aufgenommen. Die Gebrüder Schlegel verübelten es Goethe, dass er im Divan die indische Literatur nicht beachtete. Der Orientalist Johann Gottfried Kosegarten lobte das Werk. Der Romantiker Achim von Arnim äußerte ironisch bissige Kritik. Von Platen, Rückert und Heine waren dagegen begeistert. Grabbe machte sich in einer Komödie über Goethes Werk lustig. Ludwig Börne ging in seiner erst 1830 veröffentlichten herben Kritik am weitesten: »Das zahme Dienen trotzigen Herrschern hat sich Goethe unter allen Kostbarkeiten des orientalischen Bazars am begierigsten angeeignet. Alles andere fand er, dieses suchte er; Goethe ist der gereimte Knecht, wie Hegel der ungereimte.«
Das breite Publikum las das Buch jedoch nicht – Goethe blieb zu seinem Ärger der Autor des Werther .
Viele seiner schärfsten Kritiker hielten ihm vor, dass sein geistiger Ausflug in den Orient schlicht und einfach Flucht aus der bedrückenden Realität gewesen sei. Nun ist ja Suche an und für sich eine Flucht vor dem, was ist, zu dem, was sein könnte. Im Kern trifft der Vorwurf auch auf Goethe zu, doch ich komme später auf seine Absurdität zurück.
Wichtiger ist jedoch, sich diese Flucht in den Orient genauer anzuschauen. Es ist weniger eine Reise durch die geographischen Breitengrade als vielmehr durch die poetischen Landschaften und Flüsse der arabischen Redekunst, die Quellen der orientalischen Poesie und durch die Stille der Verse, die nur eine Wüste erzeugen kann. Der Reisende begegnet weder Basarhändlern noch Räubern oder edlen Rittern, sondern den Dichtern, Philosophen und anonymen Weisen der Bibel und der Sprichwörter, die Goethe auf seinen Wanderungen reichlich beschenkten. Wen wundert es, dass einem liebenden Dichter wie Goethe – obschon selbst Staatsmann – Protagonisten orientalischer Liebesepen wie Medschnun und Leila, Suleika und Jusuf näher standen als irgendwelche Paschas und Minister seiner Gegenwart?
Goethe suchte auf seiner geistigen Reise den Dialog, und deshalb war nicht die Einsamkeit des Dichters, sondern das Zwiegespräch die Geburtshelferin der meisten Gedichte.
Einen wichtigen Gesprächspartner aber verschwieg er, im Leben wie in der Dichtung: Marianne von Willemer. Heute gilt als sicher, dass die stürmische Liebesaffäre zu Marianne von Willemer eine entscheidende katalytische Wirkung auf den Werdeprozess des Divan hatte. Ihre Urheberschaft bei einigen Gedichten, die Suleika im Band spricht, ist ohne jeden Zweifel.
Die Liebe verjüngt das Herz. Und unabhängig davon, wie weit beide ihre Liebe körperlich auskosteten, erreichten sie höchste Höhen durch die poetisch gelebte Liebe. Denn durch die Liebe zu Goethe entbrannte Marianne von Willemer für die Poesie, und sie schrieb wunderschöne Gedichte, die
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