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Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick

Titel: Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Universität. Na ja, Sie sind auch ein so öffentliches Gut geworden, dass sogar Agenten des Geheimdienstes als Deckname Heinrich Heine wählen.
    H. H. (lacht): Sie scherzen wohl, aber es ist Ihnen gelungen, mich zu überraschen. Ich habe beinahe alles geglaubt.
    R. S.: Nein, nein (lacht), das ist kein Scherz. Sie haben es mit 29 Jahren frech prophezeit. Sie sind über die Jahrzehnte und Jahrhunderte mit nur wenigen Dichtern wie Goethe und Schiller bekannt geblieben. Ihr Wintermärchen kennt jeder vierte Deutsche und jeder achte kennt die Lorelei , aber von meinem ersten Erlebnis mit der Lorelei erzähle ich Ihnen später. Ich muss, bevor ich mit dem offiziellen Interview anfange, Ihnen meine Verwunderung zum Ausdruck bringen. Ich hörte während der Vorbereitung meiner Reise, dass Sie furchtbar wohnen, aber wie ich sehe, die Wohnung ist ja herrschaftlich.
    H. H.: Ja, das ist wahr. Wir wohnen hier in der Rue Matignon, in der Nähe des Rond Point auf den Champs-Élysées erst seit November. Sechs Jahre lang haben wir zu sechst mit einem kreischenden Papagei in einer düsteren Wohnung in der Rue d’Amsterdam gewohnt. Hier ist es schön. Ich habe mir gestern das Opernglas meiner Frau hierher an mein Lagerreichen lassen und sah mit unglaublichem Vergnügen einem Pastetenbäckerjungen nach, der zwei Damen seine Pastetchen anbot, und einem kleinen Hund, der daneben auf drei Beinen an einem Baum stand und sich erleichterte! Da machte ich das Glas zu; ich wollte nichts mehr sehen – denn ich beneidete den Hund.
    R. S.: Wenn Sie erlauben, fange ich nun mit meinen vorbereiteten Fragen an? Aber davor möchte ich wissen, wie ich Sie nennen soll, Harry, Heinrich, Henri?
    H. H.: Heinrich, Harry, Henri oder Enri, wie die Franzosen mich nennen. Alle diese Namen klingen gut, wenn sie von schönen Lippen gleiten. Am besten freilich klingt Signor Enrico. So hieß ich in jenen hellblauen, mit großen silbernen Sternen bestickten Sommernächten jenes edlen und unglücklichen Landes, das die Heimat der Schönheit ist und Raffael Sanzio von Urbino, Joachimo Rossini und die Principessa Christina Belgiojoso hervorgebracht hat.
    R. S.: Aber ich hörte, Sie mögen am liebsten Ihren Jugendnamen, Harry?
    H. H.: Ja, aber dieser Name ist mit einer unguten Erinnerung verbunden. In meiner Vaterstadt wohnte ein Mann, welcher der Dreckmichel hieß, weil er jeden Morgen mit einem Karren, woran ein Esel gespannt war, die Straßen der Stadt durchzog und vor jedem Hause still hielt, um den Kehricht, welchen die Mädchen in zierlichen Haufen zusammengekehrt, aufzuladen und aus der Stadt nach dem Mistfelde zu transportieren. Der Mann sah aus wie sein Gewerbe und der Esel, welcher seinerseits wie sein Herr aussah, hielt still vor den Häusern oder setzte sich in Trab, je nachdem die Modulation war, womit der Michel ihm das Wort Haarüh zurief. War solches sein wirklicher Name oder nur ein Stichwort? Ich weiß nicht, doch so viel ist gewiss,dass ich durch die Ähnlichkeit jenes Wortes mit meinem Namen Harry außerordentlich viel Leid von Schulkameraden und Nachbarskindern auszustehen hatte. Um mich zu ärgern, sprachen sie ihn ganz so aus, wie der Dreckmichel seinen Esel rief, und war ich darüber erbost, so nahmen die Schälke manchmal eine ganz unschuldige Miene an und verlangten, ich sollte sie lehren, wie mein Name und der des Esels ausgesprochen werden müssten, stellten sich aber dabei sehr ungelehrig.
    MATHILDE (schaut zur Tür): Enri, ich gehe mit Pauline spazieren. Brauchst du noch etwas?
    H. H.: Man soll mich aus den Matratzen heben.
    MATHILDE : Gut, ich schicke dir die Mulattin. (Zu mir) Auf Wiedersehen, Monsieur.
    R. S.: Auf Wiedersehen, Madame.
    H. H.: Ich will am Fenster im Liegestuhl sitzen. Hier in dieser Matratzengruft ist es zu heiß. (Der Papagei krächzt in der Ferne.) (Brummend) Der verfluchte Teufel könnte auch mal ins Jenseits spazieren.
(Die Haushälterin kommt herein, grüßt kaum hörbar und hebt Heine von seinem Lager. Sie geht mit ihm durch das Zimmer zum Liegestuhl am Fenster. Er lacht und ruft:) Vergessen Sie nicht bei Ihrem Bericht, der Welt zu erzählen, wie man mich hier in Paris auf Händen trägt (lacht schallend).
    R. S.: Lieber Harry Heine, bevor ich die offiziellen Fragen stelle, möchte ich noch etwas für mich wissen. Erlauben Sie auch unangenehme Fragen?
    H. H.: Bitte, bitte.
    R. S.: Wie konnte es passieren, dass der Dichter, der sich vor Königen und Despoten nicht verneigte, sich von einem Vetter namens Carl Heine

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