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Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick

Titel: Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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zensieren ließ? Dabei haben Sievor seinem mächtigen Vater Salomon nicht so viel Angst gehabt. Erinnern Sie sich? Sie sagten ihm: »Weißt du, Onkel, das Beste an dir ist, dass du meinen Namen trägst.« Und dann kapitulierten Sie vor seinem dummen Sohn. Ist das die jüdische Familie? Ist das die Sorge um die Rente Ihrer Witwe, die der schwachsinnige Cousin von Ihrem Schweigen abhängig machte?
    H. H.: Das alles und noch mehr, doch von Selbstzensur kann nicht die Rede sein, ich …
    R. S. (unterbricht): Haben Sie nicht Campe im März 1854 über die Memoiren geschrieben; ich zitiere: »Da ich jetzt weiß, was ich nicht sagen darf, so schreibe ich mit großer Sicherheit.« Und Sie wollten die Memoiren noch zu Lebzeiten herausbringen.
    H. H.: Aber Jehova hatte keine Geduld mehr mit mir. Ist das etwa meine Schuld? Ich war fast fertig, aber das war ja nicht mehr schwer, sie herauszubringen. Mathilde …
    R. S.: Nein, nein. Nichts gegen Mathilde. Aber sie hat womöglich dem Schwachkopf Carl, Ihrem Cousin, das Manuskript angeboten, und nun wütete die Schere Ihrer Familie, und was geblieben ist, ist ein verstümmelter Text.
    H. H.: Sie scherzen! Mathilde macht das nicht.
    R. S.: O doch, in ihrer Unwissenheit machte sie mehr. Sie bot Ihre unveröffentlichten Schriften Ihrem Erzfeind, dem Fürsten von Metternich, an, ob er sie nicht kaufen wolle, da sie sehr gefährlich seien. Und beinahe wäre es dazu gekommen. Doch am Ende winkten die Österreicher ab. Carl aber machte Mathilde und ihrem schmierigen Advokaten ein Angebot.
    H. H. (traurig): O Mathilde, mein armes Kind. (Pause) Doch was verändert das? Was ich sagen wollte, hatte ich längst in Prosa und noch besser in meinen Gedichten gesagt. Undniemandem blieb ich einen Hieb schuldig. (Etwas resigniert) Was soll noch in den Memoiren stehen?
    R. S.: Das stimmt. Womöglich wartete die Welt nur noch auf Skandale der Familie Heine, denn alle Ihre anderen Abrechnungen haben Sie mehr als genug abgeschlossen. Aber nebenbei bemerkt, wenn ich Ihre bösen Angriffe gegen die Dummheit, Unterdrückung, Korruption, Unterwürfigkeit, Despotie und Unaufrichtigkeit lese, dann finde ich unsere heutigen Dichter viel zu brav und höflich, dabei hattet Ihr im Vergleich zu unseren Diktatoren wirklich noch harmlose Herrscher.
    H. H. (aufgeregt): Die verfluchten Preußen und Metternich, harmlos?
    R. S.: Ich möchte Ihre Schmerzen im Exil nicht im Geringsten infrage stellen, denn der Exilschmerz war weder kleiner noch größer, aber die Herrscher lernten in der Zwischenzeit schneller als ihre Gegner aus ihren Fehlern, und die Technik steht ihnen sklavisch zu Diensten, sodass sie heute einen universellen Terror gegen ihre Gegner ausüben können. Metternich und alle Zaren und Könige waren ein paar Kilometer weiter – sagen wir in Frankreich – machtlos. Heute jagen die Diktatoren ihre Gegner rund um den Globus.
    H. H. (mit besorgter Stimme): Mein Gott, und was wenn …
    R. S.: Ein blasphemischer Satz, eine Beleidigung eines Diktators kostet einem Dichter das Leben. Und erwischen sie ihn nicht, so erschießen sie seine Schwester oder seinen Vater.
    H. H.: Und was machen die anderen Regierungen?
    R. S.: Sie schauen zu, ja, manche helfen sogar dem Verfolger, es sei denn, die Autoren sind bei den Geschäften einer Regierung nützlich, dann werden Krokodilstränen vergossen.(Kurze Pause) Aber wenn Sie erlauben, fange ich mit meinen offiziellen Fragen an.
    H. H.: Nein, nein, warten Sie. Entschuldigen Sie. Sie sagten doch, dass ich in Ihrer Zeit bereits zweihundert Jahre werde. Das heißt, Sie kommen aus dem Ende des 20. Jahrhunderts (fast stotternd, aus trockener Kehle), und das Exil existiert noch auf Erden?
    R. S.: Es existiert nicht nur, es greift um sich! Man schlägt sogar vor, das 20. Jahrhundert das Jahrhundert der Vertreibung und des Exils zu nennen. Eine Schande ist das.
    H. H. (seufzt): Wäre ich nur bei Kräften! Aber ich kann nichts gegen diese Menschenschänder tun.
    R. S.: Sie sind lebendiger denn je, lieber Harry Heine, und überhaupt haben Sie Freund und Feind nicht nur durch Ihre Dichtung, sondern durch Ihre tapfere Haltung in Staunen versetzt. Keiner hat damit gerechnet, dass Sie, der blasse, leidende Junge, so heldenhaft die Matratzengruft und die Schmerzen ertragen würden. Wie erträgt der Weltenbummler diese qualvolle Rast?
    H. H.: Es ist die grässlichste Hoffnungslosigkeit mit einem Geleite von moralischen Torturen, die ich jedoch ebenfalls wie die physische mit einer Ruhe

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