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Damenschneider

Damenschneider

Titel: Damenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Schöttle
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Entbehrungen aufgebaut worden sind, ein einziges schwarzes Schaf in der Erbfolge genügt, um die gesamte Tradition aus einer Laune heraus zu zerstören. Du kennst mich. Ich bin kein nostalgischer Traditionalist, der dem einst so großen Österreich nachtrauert, aber mit all diesen Firmen sind doch zahllose Einzelschicksale verbunden. Arbeiter und Angestellte, die schon seit Jahrzehnten in dieser Fabrik Dienst taten, werden sozialverträglich, wie es so schön heißt, auf die Straße gesetzt, erfreuen sich mit Mitte vierzig der Frühpension und bohren bis zu ihrem Lebensende in der Nase. Von den menschlichen Aspekten ganz abgesehen: Wie viel Wissen und Erfahrung der Wirtschaft dadurch verloren geht … Nur weil eine exzentrische Dame ihrem Villázon oder Cura hinterher reisen muss. Das ist doch in höchstem Maße unmoralisch!«
    Spöttisch musterte Vogel seinen aufgeregten Freund.
    »Und das hast du auch so deiner Elisabeth erzählt?«
    »Nicht ganz so drastisch natürlich, die ist ja auch so eine Opernnärrin …«
    »Ah, daher die Verbindung. Sie sind sich wohl bei der allfälligen Huldigungszeremonie eines gemeinsamen Abgottes näher gekommen?«
    Kopfschüttelnd nahm Walz einen Schluck Wasser.
    »Nicht so, wie du denkst, da die Elisabeth eher auf Barockmusik steht als auf Belcanto. Aber ganz falsch liegst du auch nicht mit deiner Annahme. Denn die besagte Dame hat ja einen singenden Sohn. Und dieser ist gerade dabei, eine Aufsehen erregende Karriere als Countertenor anzustreben.«
    »Als was?«
    »Ein Countertenor ist ein Sänger einer hohen Stimmlage, die er mit seiner Kopfstimme erzeugt. Eigentlich ist er der Nachfahr vom Kastraten. Nur, dass heutzutage nichts mehr von ihm weggeschnitten wird. Vielleicht hast du den Film ›Farinelli‹ gesehen, der ein ganz berühmter Kastrat seiner Zeit war. Für ihn und seine Kollegen, die seinerzeit so berühmt waren wie heutzutage die größten Popstars, haben die bedeutendsten Komponisten zahllose Opern geschrieben. Nachdem man in der Mitte des 18. Jahrhunderts von diesem Brauch abkam, – der letzte Kastrat, Alessandro Moreschi, sang in der päpstlichen Kapelle und starb, glaub’ ich, 1922, – wurden deren Rollen in die Tenorlage transponiert oder von Frauen besetzt. Seitdem jedoch die Originalklangbewegung an Dynamik gewonnen hat, gibt es wieder Bedarf an Männern, die so hoch singen können, zumal damals ein Kastrat, oder eben heute ein Countertenor, nicht nur eine völlig andere Stimmfärbung hat als eine Frau, sondern auch größere Lungenflügel, die ihm ermöglichen, viel länger zu singen ohne Atem holen zu müssen.«
    »Einmal mehr erstarre ich in Ehrfurcht und senke demütig mein Haupt vor einer solch eminenten Gebildetheit … oder hast du ein wenig Nachhilfe genommen, um deiner Holden zu imponieren?«
    »Bleibe ruhig voll der Demut, mein lieber Kajetan, sie kleidet dich ausgezeichnet. Von dem Moreschi habe ich sogar Tonaufnahmen zu Hause, die übrigens ziemlich berührend sind. Ja, und beim Konzert des Sohnemanns haben sich die beiden Mädels dann zum ersten Mal getroffen.«
    »Wann war das?«
    »Vor ein paar Monaten wird das gewesen sein.«
    »Dann erbt sie also nichts?«
    »Das nehme ich nicht an.«
    »Schade, eine so gute Partie würde ich dir schon wünschen.«
    »Das ist wirklich reizend von dir, mein lieber Kajetan, aber da wir uns ja erst einen überschaubaren Zeitraum kennen, sind solche Gedankenspiele doch tatsächlich etwas vorschnell.«
    »Trotzdem erscheint es mir seltsam, dass der Sohn, wenn er eine so intensive Beziehung zu seiner Mutter unterhielt, die Bedenken deiner Freundin nicht teilt und ihren Tod einfach so hinnimmt.«
    »Dass diese Beziehung wirklich so herzlich war, kann ich mir nicht vorstellen. Schließlich hat sie sich doch nur wenig um ihn gekümmert und ihn so früh wie möglich in ein Internat gesteckt. So etwas hinterlässt Wunden. Zudem hat er sicherlich einige Millionen von ihr zu erwarten …«
    »Und was treibt sie so? Beruflich, meine ich.«
    »Sie ist Geschäftsführerin einer international tätigen Software-Firma.«
    »Na, das klingt eigentlich gar nicht so schlecht … Eines würde ich allerdings noch gerne von dir erfahren. Woher weißt du denn das alles so genau? Es klingt ja beinahe so, als wärst du die ganze Zeit dabei gewesen.«
    »Was soll ich dir sagen? Nachdem sie mich irrtümlich angerufen hatte, brauchte ich ja einen Vorwand, um mich am nächsten Tag wieder bei ihr zu melden. Ich konnte ihr wohl schlecht sagen,

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