Damenschneider
nicht getrogen: Um diese Zeit, es war gegen elf Uhr vormittags, war das traditionelle Szene-Café tatsächlich nur sehr spärlich besucht. Bis auf einige wenige, durchwegs jüngere Besucher, die es sich hinter ihren Laptops gemütlich gemacht hatten, um das hierorts kostenlos angebotene Wireless Lan zu nutzen, zeigte sich das in mehrere Ebenen aufgeteilte Lokal in überraschender Leere. Für ein Wiener Kaffeehaus eher unüblich, herrscht hier erst am Abend der größte Andrang. Diesem untypischen Gebaren der Besucher wird von der Geschäftsleitung insofern Rechnung getragen, als das reichhaltige Frühstück sogar bis 20 Uhr serviert wird.
So hatten unsere Kriminalisten kein Problem, einen geräumigen Ecktisch zu finden, auf dem sie ungeniert die mitgebrachten Exemplare der U-Bahn-Zeitung ausbreiten konnten. Was allerdings sogleich einen argwöhnischen Blick der mit der Speisekarte hinzugetretenen Serviererin zur Folge hatte.
Walz, dem die Reaktion des Mädchens nicht entgangen war, beruhigte sie jedoch sogleich, indem er ihr mit seinem schönsten Lächeln mitteilte:
»Keine Sorge, wir nehmen nachher alles wieder mit – versprochen.«
Nachdem sie jeder eine Melange und, nach eingehendem Studium des Angebots, je zwei Eier im Glas und ein Schnittlauchbrot bestellt hatten, teilte Walz die mitgebrachte Lektüre in zwei etwa gleich hohe Stapel, die er allerdings erst einmal beiseite schob.
»Um der Gefahr auszuweichen, dass uns die eine oder andere Abbildung den Appetit verdirbt, würde ich vorschlagen, dass wir uns zuvor erst einmal stärken sollten, zumal du ja dringend dein Schlafdefizit mit einer erhöhten Kalorienzufuhr ausgleichen musst.«
Doch Vogel antwortete nichts, denn schon hatte er das erste Exemplar zur Hand genommen, um interessiert darin zu blättern.
»Falls du die Vorderseite deiner Nackerten suchen solltest, darf ich dich darauf hinweisen, dass dies hier eigentlich eine dienstliche Untersuchung ist, und du die Zeitungen zwecks gründlicherer Lektüre nachher gerne mit nach Hause nehmen darfst. Die Martina geht ja sicherlich auch einmal einkaufen …«
»Lass mich doch a bisserl schaun, da stehen ja hochinteressante Dinge drin … Und das Leserbild erst … Schau nur her, das herzige Hunderl, auch dafür gibt’s 100 Euro. Da könnt’ ich mit meinem neuen Familienmitglied doch was dazuverdienen, und das ganz legal – so wie die Emily ausschaut, schafft sie es sogar aufs Titelblatt.«
Ungläubig brummend nahm Walz seinem Kollegen die Zeitung aus der Hand.
»Na, so hübsch wie der depperte Dackel da ist deine Emily noch lang, nehm’ ich einmal an … Siehst, da steht: ›Frau Elfriede Moser aus Klosterneuburg erhält für dieses herzige Foto ihres Boris 100 Euro.‹ Wie ich dir gesagt habe, die Leut’ sehen ihren Namen gern in der Zeitung. Wenn dem nicht so ist, dann ist was faul. Eigentlich brauchen wir nur zu schauen, welches Bild anonym ist, dann können wir davon ausgehen, dass da was nicht stimmt – so einfach ist das.«
»Sehr scharfsinnig, o du mein Walz. Es erhebt sich nur die Frage, wer sich für müde 100 Euro der Gefahr einer kriminellen Handlung aussetzt …«, gab Vogel mit wichtiger Miene zu bedenken.
»Wenn es aufs Titelblatt kommt, sind es immerhin schon 1.000. Glaubst nicht auch, dass auch andere Magazine ihren Lesern solche Angebote machen? Und da die nicht gratis sind, zahlen sie wahrscheinlich auch besser. Du könntest ja einmal deinen alten Freund Frühwirth von der Zeitung anrufen und ihn fragen, ob die dort öfters mit solchen Bildern zu tun haben.«
»Das ist gar keine schlechte Idee, doch jetzt sollten wir uns erst einmal den wesentlichen Dingen des Lebens widmen«, sagte Vogel versonnen, während er die Zeitungen beiseite schob, um Platz für die Teller zu machen, mit denen die Serviererin an den Tisch trat.
Nachdem sie sich eine Zeitlang schweigend mit dem Frühstück beschäftigt hatten, musterte Vogel seinen Kollegen plötzlich mit prüfendem Blick.
»Irgendetwas ist anders heute Morgen«, murmelte er vor sich hin, »wenn ich nur draufkäme, woran das liegt … Die Frisur ist es nicht …«
Walz, der seinen Freund und insbesondere dessen Neugierde schon lang genug kannte, verdrehte die Augen:
»Ist ja gut, ich erzähl’ es dir ja schon. Also, was willst du wissen?«
»Ich will ja nicht in dich dringen, aber, o du mein Walz, du kommst mir plötzlich so verändert vor, gerade so, als ob du während der letzten Tage etwas besonders Eindrückliches erlebt
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