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Damiano

Damiano

Titel: Damiano Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. A. MacAcoy
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blutdurchtränkten Schnee neben dem abgetrennten Kopf.
    Einen entsetzlichen Moment lang dachte er, es wäre Macchiata.
    Aber die war es natürlich nicht. Es war ein zottiger Hirtenhund, der zweifellos einem der Männer des Dorfes gehört hatte. Vielleicht lag der Herr des Tieres hier tot vor ihm. Auf jeden Fall konnte der Hund den Toten keinen Schaden antun.
    Macchiata bemerkte den Hund im selben Augenblick. Mit einem tiefen Bellen stürzte sie sich auf den Fremden, der keinen Widerstand leistete, sondern den Schwanz einzog und floh.
    »Komm zurück, Macchiata«, rief Damiano, als er nur noch den dunklen Fleck in der Ferne sehen konnte. »Da sind vielleicht noch mehr. Komm zurück!«
    Eine menschliche Stimme antwortete ihm mit einem schrillen, schwachen Schrei. Damiano sträubten sich die Haare. Er sah sich um.
    Es gab nichts zu sehen; nur einen Ochsenkarren, dessen Räder in Schneewehen steckten; einen Stapel Feuerholz; eine Mistgabel, deren Holzzinken wie Vogelkrallen aus dem Schnee ragten; die unerschütterlichen grauen Steine der Hütten. Nicht mehr. Doch der Schrei ertönte wieder. Er kam von der anderen Seite der Wiese. Damiano lief ihm entgegen, versank knietief im Schnee. Er sprang über eine kleine Anhöhe, ohne zu wissen, daß das der Dorfbrunnen war, mit einer Tiefe von sechs Metern. Die Hütten empfingen ihn mit tiefem Schweigen.
    »Hallo!« rief er. »Wer ist da?«
    »Hier«, kam die Antwort hinter einer Tür hervor.
    Er drückte seine Schulter dagegen. Die Tür, die nur noch in einer Angel hing, fiel schräg nach innen.
    Drinnen war es so dunkel, daß er nichts sehen konnte. Der Geruch war so ekelhaft, daß es ihm den Magen umdrehte.
    »Sprecht!« rief Damiano, schwankend in der Tür stehend. »Wenn sich hier eine Christenseele befindet – «
    »Hier«, antwortete sie, und da sah er sie.
    Das blasse Oval eines Gesichts in der Ecke neben der Tür. Sie war in Decken gehüllt, mit einem Kuhfell darüber. Eine Hand hielt die Decken unter dem Kinn fest. Nur diese Hand und ihr Gesicht konnte er sehen.
    Er kniete neben ihr nieder. Er sah das junge Gesicht wabern, wie durch flackernde Flammen gesehen. Sie war verkrampft vor Schmerz. Stumm starrte sie ihn an. Er löste behutsam die Decken aus ihrer Hand, wagte es, sie herabzuziehen.
    Sie war nackt. Mit der anderen Hand hielt sie – wie eine Frau mit einer Schürze voll Erbsen – Muttergottes, ihre Gedärme hielt sie fest, die aus dem auf geschlitzten Bauch quollen und an der groben Wolle der Decke festklebten.
    »Herr erbarme dich«, flüsterte Damiano und ließ zu, daß sie die Decken wieder hochzog. »Vergebt mir, Signora.«
    Irgendwo heulte ein Hund.
    »Wir sind alle tot hier«, sagte sie ganz ruhig. »Ernesto, Sofia und ihr Bruder. Ich. Mein kleiner Lonso, Renaud. Wir waren nur sechs und hatten nichts, und die Soldaten haben uns alle umgebracht. Ich bin die letzte, aber ich bin auch schon tot. Gebt mir Wasser.«
    »Hm?« Damiano tastete sich automatisch ab und merkte, daß er immer noch seinen Schaffellsack trug. Mit kalten Händen griff er hinein.
    »Ich habe nur Wein«, sagte er zu ihr, und hörte das Zittern seiner Stimme. Er hielt ihr die Flasche an die Lippen.
    Sie trank gierig, und Damiano versuchte, nicht daran zu denken, wie der rote Wein weiter unten wieder aus ihrem Bauch herausfloß.
    »Danke«, keuchte sie, als die Flasche leer war. »Es hilft mir nichts, aber ich danke Euch trotzdem.« Sie machte eine kleine Pause. »Renaud warf eine Mistgabel nach dem ersten Soldaten, der seinen Kopf zwischen den Wachhügeln zeigte. Sie schnitten ihm dafür die Kehle durch und brachten uns alle um. Ich weiß nicht einmal, wer sie waren und woher sie kamen. Aber das ist auch unwichtig. Ich verfluche sie. Ich verfluche die Frauen, die sie geboren haben, und den Mann, der sie hierher geschickt hat. Ich verfluche den Ort, von dem sie kamen, und den Ort, zu dem sie gehen. Ich verfluche – «
    Sie hielt inne, um Atem zu holen. Damiano fühlte die Gegenwart der Flüche, die in der Luft hingen wie Donnergrollen an einem stillen Sommertag. Sie raubten der Todgeweihten die Kraft, so daß sie vor seinen Augen flackerte. Wie sein Vater geflackert hatte: ein sterbendes Feuer auf den Fliesen des Arbeitsraums.
    Der Hund heulte. War es Macchiata?
    »Laßt gut sein, Signora«, flüsterte er und strich ihr das schwarze Haar aus dem Gesicht. »Betet lieber. Bittet um Frieden und Vergebung.«
    Die Frau schrie in plötzlichem Schmerz auf und wälzte sich auf dem Strohlager hin

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