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Damiano

Damiano

Titel: Damiano Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. A. MacAcoy
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Damiano.
    »Ich verstehe nicht, was du sagst, Seraph. Ich bin zu müde. Ich werde später über deine Worte nachdenken.«
    »Aber warte mit deiner Vergebung nicht bis später, Damiano. Ich weiß, daß ich dich enttäuscht habe. Gib mir deine Hand.«
    Raphael glänzte wie Eis in der Sonne, als er Damiano seine Hand bot. Benommen vom vielen Weinen, drückte Damiano sie. Dann drehte er sich wieder der Hütte mit der schiefen Tür zu.
    »Du hast mich nicht enttäuscht. Ich werde sie jetzt begraben.«
    Die Leichen auf der Wiese waren von der Kälte so steif wie Holz. Er schleppte sie nacheinander zu der toten jungen Frau hinüber, vergaß auch nicht den grauslichen Kopf Renauds, der seine Mistgabel nach einem Soldaten geworfen und so sechs Leben zerstört hatte.
    Sechs? Es waren nur vier. Zwei mußte er noch finden. Er hob den Kopf und lauschte auf das Jaulen des Hundes. War es Macchiata? Er rief ihren Namen.
    Das Heulen verstummte abrupt.
    »Herr!« kam ihr Kläffen von dem Hang hinter dem Dorf. »Hier. Hier ist es.«
    Er zwang sich vorwärts zu gehen.
    Macchiata lag zu Füßen eines toten Mannes. Das klagende Heulen drang aus ihrer Kehle, als könne sie es nicht bestimmen.
    »Er wird nicht warm. Sie haben ihn in den Schnee geworfen, und nun wird er nicht mehr warm.«
    »Er ist tot, Macchiata«, sagte Damiano verwundert über sie. »Tot wie die anderen auch. Von Soldaten umgebracht.«
    »Das Kleine hier auch?« Die Hündin stand auf und trat zurück. Die starre, blaugefrorene Leiche eines kleinen Kindes kam zum Vorschein. »Es ist ja nicht blutig und nichts, und es ist noch so klein. Kann es nicht am Leben sein?«
    Damiano starrte auf das Kind.
    »Nein«, antwortete er und fühlte nichts, so erschöpft war er. »Nein, es kann nicht am Leben sein.«
    Er hob den kleinen Leichnam auf und zog den Mann an einem mit Lumpen umwickelten Fuß hinter sich her.
    Als alle Toten in der dumpfen Finsternis der Hütte lagen, stemmte Damiano seinen Stab in die hartgefrorene Erde draußen. Indem er sein Entsetzen und das letzte bißchen Kraft, das ihm geblieben war, als Werkzeuge gebrauchte, ließ er die steinernen Mauern vom Fundament bis zum Dach erzittern. Die Hütte stürzte ein, und die steinernen Trümmer begruben die Toten unter sich, so daß weder Wiesel noch ausgehungerte Hunde zu ihnen vordringen konnten.
    Raphael war fort. Damiano hatte ihn nicht gehen sehen. Er hatte dem Erzengel noch mehr zu sagen, aber das mußte warten. Er machte sich wieder auf den Weg zur Straße.

Die Straße blieb öde und verlassen, das Land kahl, doch das mußte nicht unbedingt Krieg und Soldaten zuzuschreiben sein. Erst fünfzehn Jahre zuvor war aus dem Süden die Pest heraufgezogen und hatte innerhalb eines Jahres die Bevölkerung dieses Berglands auf die Hälfte reduziert. Viele Städte und Dörfer waren völlig untergegangen.
    Partestrada war vom Schwarzen Tod verschont geblieben. Manche sagten, das sei dem Einfluß Guillermo Delstregos zu verdanken gewesen; andere behaupteten, es sei nur deshalb so gewesen, weil man die Stadttore verschlossen und auf den Mauern Bogenschützen postiert hatte, die jeden, der hereinzukommen suchte, niederschossen.
    Damiano, der damals sechs Jahre alt gewesen war, erinnerte sich kaum an Einzelheiten. Er wußte nur noch, daß er häufig hungrig zu Bett gegangen war. Doch er war in dem Wissen aufgewachsen, daß die Welt einst besser und schöner gewesen war, und daß die Menschen leicht sterben.
    Nun stapfte er durch das verlassene Land und summte ein trauriges Lied vor sich hin.
    Endlich entdeckte er Fußspuren auf dem Pfad, der sich von der Weststraße zu den Almen hinunterschlängelte. Hier, wo der Zahn der Zeit oder eine gewaltsame Umwälzung eine Felswand zerstört hatte, war ein kleines Fleckchen Erde, das vom Wind geschützt war. Der Schnee lag nur zentimeterhoch, war alt und verharscht. Waren dies die Fußabdrücke der Flüchtlinge aus Partestrada, oder hatten die Soldaten, die sie verfolgten, die Spuren hinterlassen? Einige der Abdrücke waren an den Rändern weich und abgerundet; entweder Wochen alt und von der Sonne abgetaut, oder sie stammten von den mit Lumpen umwickelten Füßen von Bauern.
    Damiano ließ sich auf ein Knie nieder. Eine Handbreit von der Wand entfernt war ein weicher Abdruck, der den scharfumrissenen Abdruck eines Stiefels zu überlagern schien. Das war ein gutes Zeichen; Infanteristen wickelten ihre Füße nicht in Lumpen.
    »Was sagt dir deine Nase, meine Kleine?« fragte Damiano die

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