Damiano
und her.
»Vergebung? Ich habe nichts getan, nicht einmal eine Mistgabel auf das Schwein geworfen, das mir die Gedärme aufgerissen hat. Und ich vergebe niemandem! Am wenigsten Gott, der dies geschehen ließ!«
Damiano war recht gut bewandert in der Heilkunde, er wußte aber auch, daß es gegen den Tod kein Mittel gab. Er schmeckte das Salz seiner eigenen Tränen in seinem Mund und wußte nicht, wie er helfen sollte.
Nichts fiel ihm ein, als ein Kindersprüchlein, das helfen sollte, den Schmerz aufgeschrammter Knie und gequetschter Finger zu vertreiben. Er nahm die Hand der sterbenden Frau in seine Rechte und lehnte sich mit der linken Körperseite an seinen schwarzen Stab.
»Zauber, Zauber, ach so schön
Laß die Schmerzen schnell vergehn.
Schicke deine Zauberflut
Dann wird alles wieder gut.«
Diesen Spruch sagte er immer wieder mit großer Konzentration auf, bis er das Gefühl hatte, nicht mehr als eine schwarze Leere zu sein, ein dunkles Rohr wie das Innere einer Flöte, durch das das Unsichtbare passierte. Und während er den kleinen Spruch wie eine Melodie durch seinen geistigen Körper spielen ließ, betete er darum, daß der Kinderzauber Macht gewinnen möge, den Schmerz einer tödlichen Verwundung zu lindern.
Draußen heulte und klagte noch immer der Hund.
Die Frau sah ihn mit ruhigem Blick an. Ihr Atem ging leicht.
»Der Schmerz ist weg«, sagte sie und seufzte. »Aber Ihr – Ihr zittert. Eure Hand zittert.«
Er schüttelte den Kopf. Er wäre vor Erschöpfung beinahe auf das blutgetränkte Lager gestürzt. Die Frau tätschelte seine Hand.
»Ich sehe, Ihr seid ein Hexer«, sagte sie. »Wie der Mann, der kam, als die Schafe siechten. Er zitterte auch so, und dann schlief er eine Stunde im Bett meines Bruders.«
»Mein Vater – «, begann Damiano, aber sie hörte ihm nicht zu.
»Wenn ich eine Hexe wäre, läge ich nicht mit aufgeschlitztem Bauch hier. Wenn ich eine Hexe wäre, würde ich mir Gerechtigkeit verschaffen.«
Mühsam richtete sie sich auf und stützte sich auf einen Ellbogen.
»Welches Recht habt Ihr zu leben?« fragte sie mit anschwellender Stimme. Ihr Bild flimmerte wie die Sonne auf dem Wasser. »Gebt mir Gerechtigkeit.«
Damiano fing sie auf, als sie zurückfiel.
»Raphael! Raphael!« rief er laut. »Ich kann ihr nicht helfen. Hilf mir, Seraph. Hilf mir!«
Und weiße Schwingen füllten die düstere Hütte.
Damiano nahm die helle, vollendet geformte Hand des Erzengels und legte sie auf die der Frau. Raphael blickte hinunter. Unpersönliches Mitleid stand in seinen Augen. Dann sah er Damiano wieder an.
Der Blick der Frau war wie zuvor.
»Hexer, gebt mir Gerechtigkeit oder seid verflucht wie die anderen.«
Die Worte kamen ihr kaum hörbar über die sterbenden Lippen.
»Raphael?«
Der Engel schüttelte nur den Kopf mit dem lichten Haar.
»Raphael, tröste sie! Gib ihr Frieden. Ich kann es nicht.«
»Frieden?« ächzte sie. »Ich vergebe keinem, am wenigsten Gott.«
Ihr Licht flackerte noch einmal auf, dann erlosch sie.
Damiano bedeckte sein Gesicht mit einer Hand. Er wandte sich von dem Engel ab und stürzte ins Licht hinaus.
»Es tut mir leid, Damiano. Sie konnte mich nicht sehen.«
Auch Raphael waberte vor Damianos Augen; das bewirkte der Schleier seiner Tränen.
»Hättest du nicht zu ihr sprechen – ihr etwas von Gottes Güte sagen können –, wenn schon nicht, um den Schmerz zu lindern, so doch wenigstens, um ihr bitteres Herz zu erweichen und zu öffnen? Nun ist sie mit einer schweren Last von Verfluchungen auf dem Rücken zu ihrem Richter gegangen.«
»…mich weder sehen noch hören. Dami! Ich konnte nicht zu ihr durchdringen. Und selbst wenn es mir gelungen wäre, was würde ich zu sagen wagen?«
Verwundert über die Worte des Engels, wischte sich Damiano die Tränen aus den Augen. Er sah, daß Raphael auf der Anhöhe im Schnee stand, die er auf dem Weg zur Hütte übersprungen hatte. Der Engel hinterließ keine Spur im Schnee. Damiano ging um ihn herum.
»Damiano, mein Freund, ich bin Geist und kann nicht sterben. Und so kann ich den Tod auch nicht verstehen. Welchen Trost kann ich einer Sterblichen geben, die das liebt, was mir nur schwere Prüfung und Unfreiheit zu sein scheint? Ihr seid die Erde selbst, der die Natur des Vaters gegeben wurde: Gott in seiner unendlichen Demut.
Ich bin – nur ein Musiker. Nein, weniger noch, ich bin nur Musik. Euer Schmerz ist so unbegreiflich für mich…«
Ich hätte ihr die Augen schließen sollen, dachte
Weitere Kostenlose Bücher