Damit Dein Leben Freiheit Atmet
Abt während der Fastenzeit an einem Besinnungstag einmal eingeladen, zwei Stunden lang unsere Klosterzelle zu reinigen und alles Überflüssige entweder zu entsorgen oder in einen eigenen Raum zu tragen, in dem es gesammelt wurde, um eventuell auf dem Flohmarkt verkauft oder an bedürftigere Menschen verschenkt zu werden. Es war erstaunlich, welche Dynamik dieses gemeinsame Reinigungsritual entfachte. Da wurde geräumt und sauber gemacht. Da wurde ganz viel Überflüssiges
weggeworfen und vieles, was sich an Geschenken angesammelt, aber den Schreibtisch nur vollgestellt hatte, in den dafür vorgesehenen Raum getragen. Wir waren selber überrascht, was da alles zusammenkam. Die Mitbrüder hatten nachher das Gefühl, in ihrer Zelle wieder richtig atmen zu können. Das gemeinsame Reinigungsritual entlastete nicht nur die Arbeit der Hausmeister. Es trug auch zur Reinigung der Atmosphäre in der Gemeinschaft bei und zur inneren Freiheit des einzelnen.
Für eine Familie wäre eine solche gemeinsame
Reinigungsaktion während der Fastenzeit sicher auch sinnvoll.
Früher war ja der Samstag ein gemeinsamer Reinigungstag für die ganze Familie. Da wurde nicht nur das Haus gereinigt. Es
-129-
war auch der Tag, an dem alle in die Badewanne gingen, um sich für den Sonntag zu reinigen und schön zu machen. Solch ein gemeinsames Reinigungsritual hat die ganze Familie immer wieder auf neue Weise miteinander verbunden und auf den Sonntag vorbereitet. Wenn sich eine Familie in der Fastenzeit einmal einen gemeinsamen Reinigungstag leisten würde, könnte das für das Miteinander erfrischend und belebend sein. Das gemeinsame Ritual würde der Familie zeigen, woraus sie wirklich leben möchte und was sie auf ihrem Weg behindert.
Das Leben zu vereinfachen, ist eine große Sehnsucht der Menschen. Aber meistens bleibt es bei der Sehnsucht, ohne daß man das Vereinfachen anpackt. Die Fastenzeit als
Reinigungszeit lädt uns ein, jeden einzelnen für sich und alle gemeinsam, das Leben zu vereinfachen.
Vereinfachen bezieht sich nicht nur auf die Wohnung und alles, was sich darin angesammelt hat. Ich sollte auch meinen Lebensstil beobachten, wo sich da etwas vereinfachen ließe. Da wäre zuerst einmal der Terminkalender. Ich gehe meine Tage durch, um zu sehen, wo ich sie mit Terminen vollgestopft habe.
Was ist da wirklich notwendig? Regt sich in mir Widerwillen, wenn ich an bestimmte Termine denke? Ich soll den inneren Widerstand ernst nehmen. Er zeigt mir, daß ich mich da in der Festlegung der Termine überrumpeln ließ. Es tut mir nicht gut, gegen den Widerstand meiner Seele die Termine
wahrzunehmen. Ich kann überlegen, was ich noch absagen kann.
Oder aber ich kann mir neue Regeln geben, wie ich in Zukunft mit meinem Terminkalender umgehen möchte. Es geht nicht nur um die Termine, an denen ich Verpflichtungen wahrnehmen muß. Wie sieht überhaupt mein Tagesplan aus? Bin ich damit zufrieden? Habe ich den Eindruck, daß ich selber lebe? Oder werde ich gelebt? Wie steht es mit dem Beginn des Tages oder mit der Gestaltung des Abends? Bin ich da zufrieden? Ich sollte meinen Tag nicht wieder mit Ritualen vollstellen. Aber ich sollte mich fragen, ob mir die Tagesordnung guttut oder nicht,
-130-
ob ich darin atmen kann oder kurzatmig werde.
Einer eigenen Überprüfung bedarf das Wochenende. Als ich einmal bei einem Führungskurs für Manager von Daimler-Chrysler die Eigenschaften des Cellerars vorlas und erklärte, fühlte sich ein Abteilungsleiter vor allem von dem Wort
»Vielesser« angesprochen. Der Cellerar soll kein Vielesser sein.
Das bezieht sich nicht nur auf das Essen, sondern überhaupt auf seinen Umgang mit allem, mit seiner Zeit, mit seinen Aktivitäten. Dieser Abteilungsleiter hatte nicht das Problem, daß er zuviel aß. Er war eher zu schlank. Doch er erkannte, daß er zuviel in seine Zeit hineinstopfte. Wenn er daheim war, meinte er, er müsse die Zeit ausnützen und jetzt möglichst viel mit seinen Kindern unternehmen. Doch die Kinder hatten gar nicht immer das Bedürfnis, daß möglichst viel los sein müsse. Sie wollten einfach nur, daß der Vater da war, für sie bereit war, mit ihnen spielte, wenn sie es wollten. So wie es diesem Abteilungsleiter ging, erleben es wohl viele Menschen, die während der Woche von ihrem Beruf sehr in Anspruch
genommen sind. Sie meinen, jetzt müßten sie in der Familie alles nachholen, was sie während der Woche versäumt haben.
Andere glauben, sie müßten vor ihren Chefs
Weitere Kostenlose Bücher