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Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches

Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches

Titel: Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
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auch wenn wir Menschen ungehorsam gewesen waren.
    Ich nahm aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr, und als ich hinüberblickte, sah ich eine massige Gestalt im Dunkeln sitzen. Pastor Henry würde dort noch einige Stunden über die Obdachlosen wachen, bis man ihn ablöste. Dann würde er seine Sachen packen und nach Hause gehen.
    Mich zog es plötzlich in mein warmes Bett.
    Als ich nach draußen trat, blinzelte ich, denn es hatte zu schneien begonnen.

Als mit der Freude ich schritt eine Meil’
Geplaudert sie hat ohn’ Unterlass
Doch klüger ward ich nicht dabei
Trotz allem, was sie zu sagen hatt’.

Als mit dem Leid ich schritt eine Meil’
Es schwieg ganz still und stumm
Doch, oh! Wie viel ich gelernt von ihm
Dem Leid an meiner Seit’.
    ROBERT BROWNING HAMILTON

Das Ende des Herbstes

    E s ist was passiert.«
    Die jüngste Tochter des Rebbe, Gilah, rief mich auf meinem Handy an, was sie nur im Notfall tun würde. Sie berichtete, dass der Rebbe entweder einen Schlaganfall oder einen Herzinfarkt gehabt hatte. Auf alle Fälle hatte er seinen Gleichgewichtssinn verloren, kippte immer nach rechts. Und er konnte sich nicht an Namen erinnern und redete wirr.
    Er war seit ein paar Tagen im Krankenhaus, und sie hatten gehofft, ihn wieder nach Hause holen zu können. Doch im Moment mussten sie alle Möglichkeiten in Betracht ziehen.
    Wird er …?, fragte ich.
    »Wir wissen es nicht«, antwortete Gilah.
    Ich legte auf und buchte einen Flug.
    Am Sonntagmorgen stand ich vor der Tür. Der Rebbe war wieder zuhause, und Sarah öffnete mir. Sie wies nach hinten, wo der Rebbe im Wohnzimmer in einem Lehnstuhl saß.
    »Gut, Sie wollten wissen«, sagte sie mit gedämpfter Stimme, »dass es ihm nicht so …«
    Ich nickte.
    »Al?«, rief sie darauf. »Hier ist Besuch für dich.«
    Sie sprach so laut und langsam, dass mir klar wurde, wie sehr sich alles verändert hatte. Ich trat zum Rebbe, und er wandte mir den Kopf zu. Langsam blickte er zu mir auf und hob ein wenig die Hand. Ein kleines Lächeln trat auf seine Lippen.
    »Aahh«, machte er.
    Er trug ein Flanellhemd und war in eine Wolldecke gehüllt. Um seinen Hals hing eine Art Pfeife.
    Ich beugte mich zu ihm herunter und legte meine Wange an die seine.
    »Ehh … mmm … Mitch«, flüsterte er.
    Wie geht es Ihnen?
    Das war eine idiotische Frage.
    »Ist nicht …«, begann er und verstummte.
    Ist nicht …?
    Er verzog das Gesicht.
    Ist nicht der beste Tag Ihres Lebens?, sagte ich. Ein lahmer Versuch, humorvoll zu sein.
    Er versuchte zu lächeln.
    »Nein«, sagte er. »Ich meine … das …«
    Das?
    »Wo … wissen … ah …«
    Ich schluckte. Tränen stiegen mir in die Augen.
    Der Rebbe saß zwar vor mir. Aber der Mann, den ich kannte, war verschwunden.
    Was tut man, wenn man einen geliebten Menschen zu schnell verliert? Wenn man keine Zeit hat, sich darauf vorzubereiten, und eine Seele plötzlich verschwunden ist?
    Der Mann, der diese Frage wohl am besten beantworten konnte, saß vor mir.
    Denn er hatte den schlimmsten Verlust erlebt, den man erleiden kann im Leben.
    Es geschah im Jahre 1953, als er seine Stelle in der Gemeinde erst seit wenigen Jahren innehatte. Seine Familie war inzwischen ziemlich gewachsen: Shalom, sein Sohn, war fünf, und die beiden Zwillingsmädchen Orah und Rinah waren vier Jahre alt. »Orah« bedeutet »Licht«, »Rinah« heißt »Freude«.
    Innerhalb einer einzigen Nacht ging Freude verloren.
    Die kleine Rinah, ein fröhliches Kind mit braunen Locken, hatte mitten in der Nacht Atembeschwerden bekommen. Sarah hörte es im Schlafzimmer, schaute nach der Kleinen und kam zurück zum Rebbe gerannt. »Al«, sagte sie, »wir müssen sie sofort ins Krankenhaus bringen.
    Während sie durch die Dunkelheit rasten, kämpfte das Kind um sein Leben. Die Bronchien schwollen an und verkrampften, die Lippen verfärbten sich blau. So etwas war noch nie zuvor bei ihr vorgekommen. Der Rebbe fuhr, so schnell er konnte.
    In Camden, New Jersey, rannten sie in die Notaufnahme des Our Lady of Lourdes Hospital. Die Ärzte brachten das Kind sofort in ein Untersuchungszimmer. Der Rebbe und seine Frau mussten warten, alleine. Was konnten sie tun? Was konnte man in einem solchen Moment überhaupt tun?
    Draußen im Flur beteten Albert und Sarah für das Leben ihres Kindes.
    Wenige Stunden später war Rinah tot.
    Das Mädchen hatte einen schweren Asthmaanfall bekommen, zum ersten und letzten Mal in seinem Leben. Heutzutage würde die kleine Rinah vermutlich überlebt haben. Mit einem

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