Damit ihr mich nicht vergesst - Die wahre Geschichte eines letzten Wunsches
.«
Ich wandte mich um und erblickte den dünnen Mann mit der hohen Stirn, der mich zu einer Seitentür winkte. Ich betrat den Raum und blickte verblüfft um mich.
Ich befand mich in einer Art behelfsmäßigem Kirchenraum, in dem nur zwei Bänke nebeneinander Platz fanden. Die »Wand« bestand aus einer Plastikplane, die an Kanthölzern festgetackert war und auch eine Art Dach bildete. Das Ganze erinnerte an ein Fort, das sich Kinder auf dem Dachboden bauen.
Offenbar hatte die Kirchengemeinde ein Zelt gebaut, um sich vor der Kälte zu schützen. Die Leute hockten dicht gedrängt in den Bänken, behielten aber dennoch ihre Mäntel an. An diesem Ort hielt Pastor Henry Covington seinen Sonntagsgottesdienst ab. Statt eines Altars stand nur noch ein kleines Pult zur Verfügung. Und hinter ihm sah man nicht die imposante Orgel, sondern ein schwarzweißes Banner, das jemand an die Wand genagelt hatte.
»Wir danken dir, Gott«, sprach Henry gerade, als ich mich in die hinterste Bank setzte. »Gott, der du uns Hoffnung gibst … Wir danken dir und loben und preisen dich im Namen Jesu Christi … Amen.«
Ich betrachtete den behelfsmäßigen Raum und fragte mich, wie lange diese Gemeinde wohl noch Bestand haben konnte mit einem schadhaften Dach und ohne Heizung.
Henrys Predigt an diesem Tag hatte die Frage zum Gegenstand, ob man Menschen aufgrund ihrer Vergangenheit verurteilen soll. Er begann, indem er darauf hinwies, wie schwer es ist, seine Gewohnheiten zu ändern, besonders aber, eine Sucht loszuwerden.
»Ich weiß sehr wohl, wie das ist«, rief er mit seiner klangvollen Stimme. »Ich weiß, wie es ist, wenn man gelobt hat: ›Ich werde das nie wieder tun … Wenn ich wieder Geld habe, mach ich dies und mach ich jenes‹ … Man geht sogar nach Hause und sagt seinen Lieben: ›Ich habe Fehler gemacht, aber ich werde mich bessern‹ …«
» Amen !«
»Aber dann kommt man wieder an Geld – und all die Versprechen sind vergessen.«
» Oh ja !«
»Man hat es satt, so zu sein …«
» So satt !«
»Doch dann kommt die Zeit, in der man Gott eingestehen muss: ›Dieses Zeug ist stärker als ich – es ist stärker als der Entzug – es ist stärker als der Pastor in der Kirche … ich brauche dich, oh Herr … ich brauche dich, Jesus Christus‹ …«
Henry begann in die Hände zu klatschen.
»Aber ihr müsst so sein wie Smokey Robinson …«
Er sang zwei Zeilen aus »You Really Got a Hold on Me« und sprach dann weiter.
»Und vielleicht geht ihr zum Supermarkt und kauft was zu essen, aber dann spricht euch jemand an, und ihr werdet schwach … Und obwohl ihr siebzig Dollar für die Lebensmittel ausgegeben habt, gebt ihr sie für zwanzig weg …«
» Fünfzehn !«
»Jawohl …, fünfzehn …, wenn ihr den Stoff unbedingt haben wollt … Ich sage euch, ich weiß sehr wohl, wie das ist, wenn man drinhängt … Ich weiß aber auch, wie es ist, wenn man drüber weg ist.«
» Amen !«
»Doch wir müssen ankämpfen gegen die Sucht. Und es genügt nicht, wenn nur ihr selbst clean seid. Wenn ein anderer es schaffen will, so müsst ihr auch an ihn glauben …«
»Oh ja !«
»In der Apostelgeschichte erfahren wir, dass die Menschen Paulus nach seiner Bekehrung misstrauen, weil er die Kirche zuvor geschmäht hat, nun aber preist. ›Ist das derselbe Mann? Ausgeschlossen! Auf keinen Fall!‹ … So passiert es immer wieder, dass andere den neuen Menschen gar nicht erkennen, weil sie nur seine Vergangenheit sehen. Und wir können manchmal Menschen nicht helfen, weil sie uns nur kennen aus jener Zeit, bevor wir den Herrn gefunden haben …«
» Oh ja !«
»So erging es auch Paulus … Die Leute wollten nicht glauben, dass er Jesus diente, denn sie sahen nur seine Vergangenheit …«
» So ist es !«
»Sie schauten nur auf seine Vergangenheit. Und wenn wir nur unsere Vergangenheit betrachten, können wir nicht erkennen, was Gott vollbracht hat. Was er vermag ! Wir sehen nicht die kleinen Dinge in unserem Leben …«
» Jawohl !«
»Wenn Menschen mir sagen, ich sei gut, so antworte ich: Ich bemühe mich. Aber manche, die mich noch von früher kennen – wenn ich mal wieder in New York bin –, wenn die hören, dass ich Pastor einer Gemeinde bin, dann sagen sie: ›Ich weiß genau, dass du dafür bezahlt wirst, Junge. Ich weiß es. Ich kenne dich.‹«
Er hielt inne. Dann fuhr er mit tieferer Stimme fort:
»Nein, sage ich dann. Ihr kennt mich nur von früher. Ihr kanntet den Menschen, der ich einmal war. Doch ihr
Weitere Kostenlose Bücher