Damon Knight's Collection 09 (FO 16)
Augenblicke.
Sie leben auf einer ganz anderen Zeitebene – ist das zu abrupt? Ich weiß nicht, wie ich es anders ausdrücken oder wie ich es anders anfangen sollte. Oder ob es überhaupt erklärlich wird. Sie sind sich meiner Gegenwart nur sehr vage bewußt, und ich kann sie nur mit der ganzen Hilfe der Maschinen untersuchen, von denen ich einige mitgebracht habe und andere später anfordern konnte (die Regierung hofft immer, ergreift jede Gelegenheit, neue Ressourcen zu erschließen). Und alles, was ich gelernt habe, läuft auf diese eine seltsame These hinaus: Eine andere Zeitebene.
Als ich hier ankam, geriet ich beständig an den Rand ihrer Stadt oder wurde durch sie dorthin gedrängt; ich trat beständig einen überstürzten Rückzug dorthin an, was ich das Tote Land zu nennen begann. Das erste Jahr brauchte ich dazu, um einen Plan vom Wachstum ihrer Städte zu machen. Ich bin etwas weitergekommen. Es ist einfach, wenn man erst einmal den Schlüssel besitzt: die Städte entwickeln sich in Abhängigkeit von den Jahreszeiten. Das Problem entsteht durch den Orbit der Ephemera, der sehr exzentrisch ist (ich bin versucht, erratisch zu sagen), und durch ihr seltsames Klima. Jahreszeiten zucken vorüber, wiederholen sich mit geringfügigen Unterschieden, verweilen und jagen sich – alles in offenbarem Durcheinander. Es dauert eine Weile, es in Deinem Geist alles zu sortieren, ein Jahr in seine Bestandteile zu zerlegen.
Und jetzt habe ich diese Stadt mit ihren tausend Namen tausendmal auftauchen und verschwinden sehen. Ich habe beobachtet, wie sich ihre Zyklen meiner Tabelle entsprechend wiederholten, und ich habe meine Tabellen weggeworfen und mich damit begnügt, sie Siva zu nennen. Alle meine gesellschaftlichen Theorien, meine Notizen, meine vollgekritzelten Papiere, ich mußte sie wegwerfen; ich war ein Wissenschaftler, und jetzt bin ich ein bloßer Betrachter. Siva beobachtend.
Es ist immer beeindruckend und sehr schön. Ein paar Hütten tauchen auf, und bevor man sich umgesehen hat, steht dort eine Stadt. Die Hütten breiten sich über die Landschaft, und alles beginnt sich zu kräuseln durch die Veränderungen, die vor sich gehen, so als würde die Stadt kochen. Diese visuellen, wellenförmigen Bewegungen halten an; die Ränder der Stadt bewegen sich von ihr fort, werden von dem Kräuseln erfaßt und dehnen sich noch weiter aus: ein kontinuierlicher Prozeß. Je weiter vom Zentrum entfernt, um so schneller bewegt es sich. Zu manchen Zeiten erkennt man es als eine Stadt, dann werden die Bewegungen langsamer, hören beinahe ganz auf – dann, Minuten später, dann beginnt das Aussichherauswachsen von neuem, und sie wächst mit phantastischer Geschwindigkeit. Sie streckt sich in die Länge, wächst in die Höhe, verdichtet sich.
(Vor einigen Tagen, als ich sie beobachtete, stand ich auf, um etwas Tonbandmusik – es war Bach – in das Gerät einzulegen. Dann kam ich zurück und setzte mich. Ich muß von der Musik gefangengenommen worden sein, denn später, als das Band zu Ende war, schaute ich auf, und die Stadt war beinahe über mir. Ich denke immer, daß ich eines Tages nicht ausweichen werde, daß ich von der Stadt verschluckt werde und daß es dann um mich herum sprießen und explodieren wird.)
Siva baut sich auf und schwillt an, explodiert in die Höhe, nach außen, bedeckt die Landschaft. Dann, am Ende eines Zyklus, stellt sich ein seltsamer Friede ein: eine Pause, ein Schweigen. Vergleichbar, als Josua die Sonne anhielt.
Und dann: was? Ich kann nicht wissen, was zu diesem Zeitpunkt in der Stadt vorgeht. Aus Fotografien (ziemlich unglaublichen Fotografien) und Inspektionen der „Ruinen“ schließe ich, daß etwa folgendes geschehen muß: irgendeine physische Erschütterung trifft die Menschen mitten im Lauf; die meisten von ihnen falten sich zu unsichtbaren Knoten zusammen – und Rest wendet sich gegen die Stadt und zerstört sie. Es geschieht immer wieder. Und immer wieder bin ich nicht in der Lage, die verschiedenen Gruppen zu unterscheiden oder die Ursache des Ganzen zu erkennen. Und jedesmal ist die Zerstörung vollständig. Die momentane Stasis zerfällt und die Stadt zerbricht. Keine Mauer oder sonstiges Überbleibsel steht mehr; selbst der Schutt ist irgendwie verschwunden. Es passiert so schnell, daß die Kameras nicht folgen können; und hinterher laufe ich stundenlang herum, um etwas auf dem vernarbten Boden zu lesen … „Ganz Pergamon ist mit Dornenbüschen bedeckt; selbst seine Ruinen
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