Ein sueßer Kuss als Antwort
1. KAPITEL
1820
Es war früh am Morgen, und die meisten Leute schliefen noch. Dichter Nebel lag über dem weitläufigen Londoner Park. Die junge Frau blieb stehen und lauschte. Kein einziger Laut drang an ihr Ohr. Es kam ihr vor, als wäre sie allein auf der Welt. Diese Stunden vor Tau und Tag liebte sie über alles.
Mit einem Mal erklang der donnernde Hufschlag eines Pferdes, und fast hatte die junge Frau das Gefühl, den Boden unter ihren Füßen beben zu spüren. Verärgert, dass jemand ihre kostbare Ruhe störte, spähte sie angestrengt um sich, um herauszufinden, aus welcher Richtung das Geräusch wohl kommen mochte. Plötzlich zerriss ein lauter Warnruf die Stille, und wie aus dem Nichts tauchte die riesige dunkle Gestalt eines Reiters hoch zu Ross vor ihr auf.
Die junge Frau schrie, warf sich zur Seite und landete unsanft im Gras. Der Reiter riss an den Zügeln, und das Pferd stieg auf die Hinterhand. Für einen Moment blitzten die Hufeisen gefährlich nah über ihrem Kopf auf, und entsetzt beobachtete die junge Frau das Tier. Mit seinen geblähten Nüstern und schäumendem Maul wirkte es wie eine bedrohliche Kreatur aus einer anderen Welt. Dann kamen die Hufe krachend – haarscharf neben ihrem Körper – zu Boden.
Nur schemenhaft, wie durch einen langen Tunnel, nahm die junge Frau den Reiter wahr. Sie schrie abermals auf, als sie erkannte, dass seine dunkle, geisterhafte Gestalt vom Pferd glitt. Mit dem wehenden Mantel wirkte er wie ein Vampir, der sich auf sie stürzen wollte. Von Panik ergriffen, rappelte sie sich auf und starrte ihm entgegen.
„Sind Sie von Sinnen?“, brüllte der Mann. „Was zum Teufel machen Sie auf dem Reitweg? Ich hätte Sie umbringen können.“
Die junge Frau reckte das Kinn. „Wie bitte?“, erwiderte sie scharf, strich ihre Röcke glatt und rückte ihren schief sitzenden Hut zurecht. Sie musste den Kopf in den Nacken legen, um dem Mann überhaupt ins Gesicht schauen zu können. Es war schreckensbleich. Rabenschwarzes Haar betonte die eisblauen Augen. Die Lippen waren grimmig zusammengepresst.
„Noch ein paar Zoll, und Sie wären zu Tode getrampelt worden. Haben Sie denn den Verstand verloren?“
„Wie können Sie es wagen, so mit mir zu reden?“ Seine Worte trieben ihr die Zornesröte ins Gesicht. „Und würden Sie wohl aufhören, mit der Reitgerte herumzufuchteln, als wollten Sie mir einen Hieb versetzen!“
Der Fremde ließ die Hand, in der er die Peitsche hielt, sinken. „Den hätten Sie wahrlich verdient. Wissen Sie nicht, dass es gefährlich ist, auf dem Reitweg herumzuspazieren? Er ist für Pferde gedacht, nicht für Damen, die darauf lustwandeln.“
Kämpferisch hob die junge Frau das Kinn noch ein wenig höher. „Dessen bin ich mir durchaus bewusst. Ich hätte nur nie damit gerechnet, dass jemand die Narretei begehen würde, bei diesem Nebel auszureiten. Und ich habe den Reitweg benutzt, um nicht die Orientierung zu verlieren.“
„Unvernünftig genug. Selbst unter normalen Umständen.“ Er hielt inne und musterte sie besorgt. „Sind Sie verletzt?“
Immer noch wütend stieß sie hervor: „Nein. Aber das ist bestimmt nicht Ihr Verdienst. Hätten Sie etwas besser aufgepasst, wäre das alles gar nicht passiert. Doch vielleicht ist ja auch Ihr Pferd mit Ihnen durchgegangen? Vielleicht haben Sie es nicht richtig im Griff?“
„Ich versichere Ihnen, es weiß genau, wer sein Herr und Meister ist.“ Der Fremde betrachtete sie etwas eingehender. Vor ihm stand eine unglaublich attraktive junge Frau, die den Eindruck machte, als ob sie vor nichts und niemandem Angst habe – und schon gar nicht vor ihm. Doch selbst ohne ihren beherzten Sprung zur Seite hätte er sie nicht niedergeritten. Dafür war er ein viel zu guter Reiter. Allerdings war es doch ziemlich knapp gewesen. Er lächelte amüsiert. „Welch ein Hitzkopf! Sind Sie sicher, dass Sie wirklich gestolpert sind und es nicht etwa der Anblick meiner beeindruckenden Gestalt hoch zu Pferde war, bei dem Sie schwach wurden?“
Machte er sich etwa lustig über sie? Erneut stieg Wut in ihr hoch, und ihre Augen sprühten förmlich Funken, als sie erwiderte: „Sie impertinenter Kerl! Was fällt Ihnen ein! Wie können Sie nur die Arroganz besitzen und annehmen, dass ich bei Ihrem Anblick schwach werden würde. Gott sei Dank liegt mir nichts ferner als das.“ Vorsichtshalber wich sie einen Schritt zurück. Die körperliche Nähe des Fremden, der sie um mehr als Haupteslänge überragte, wirkte
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