Damon Knights Collection 6
Erst jetzt wurde ihm klar, wie stark er doch von Tatja beeinflußt worden war. Er sah ein, daß die Rettung der Fantasy -Sammlung ein außerordentlich wichtiges Vorhaben war – aber ohne den Zauber, mit dem Tatjas Persönlichkeit ihn in ihren Bann geschlagen hatte, spürte er keinerlei Bedürfnis, bei dem Unternehmen seine Haut dreinzugeben. Kunst war Kunst, aber das Leben war heilig – insbesondere das seine. Wenn er den Plan auszuführen versuchte, würde Svir Hedrigs vermutlich diese Nacht sterben. Und dieser Tod wäre nicht der abenteuerliche, romantische Tod eines Helden, sondern eine üble, leere, endgültige Angelegenheit. Allein darüber nachzudenken, ließ ihn erschauern. Wie nahe er doch daran war, sich selbst zu opfern – für nichts. Wenn Cor nicht gewesen wäre, hätte er es auch getan. Ascuasenya war so ehrlich, wie Grimm falsch war. Das hatte er gerade noch rechtzeitig herausgefunden.
Er würde Tatja absagen – das meiste, wozu sie ihn kriegen konnte, war, daß er seine Überfahrt bezahlte. Grimm würde sich einen anderen Dussel suchen müssen, und einen anderen Dorfox. Hedrigs würde den Doomsday-Astronomen aufsuchen und die Situation mit dessen Hilfe bereinigen. Und vielleicht – nein, si cher – würde er Cor wiedersehen und sie bitten, Tarul le zu verlassen und mit ihm zurück auf die Chainpearls zu kommen.
Svir fütterte den Dorfox mit einem köstlichen Mahl, dann ging er in die Hauptkantine hinunter. Er sah Cor nicht. Das war ungewöhnlich, aber nicht überraschend. Es wurden ja immer noch Sonderschichten eingelegt, um Material aufzuarbeiten. Er würde sie später am Abend sehen, nachdem er Tatja gegenübergestanden hatte. Svir pfiff vor sich hin, als er die Treppen hinaufsprang. Dabei dachte er an den Ausdruck von Grimms Gesicht, wenn er ihr sagte, daß er ihr nicht helfen würde.
Die Barke lief jetzt in den Hafen von Bayfast ein. Die Einfahrt bestand aus einer engen Fahrrinne, die die Klippen von Somnai durchschnitt. Seraph war nahzu voll, und sein strahlend blaues Licht verwandelte die sonst braunen Klippen in schimmernde Vorhänge aus Stein. Svir mußte den Kopf zurücklegen, um die dort oben aufgestellten Seekanonen von Bayfast zu sehen, die auf ihn herunterzeigten. Die Tarulle-Barke war bald halb so breit wie die Einfahrt.
Hedrigs’ Schritt stockte, als er ein kleineres Boot von der Barke davonfahren sah. Dieses Mädchen mit dem Helm von kurzem, schwarzem Haar – sie sah wie Coronadas Ascuasenya aus. Svir stürzte an die Reling. Sie war mehr als fünfzig Meter entfernt und ihr Gesicht abgewandt – aber er war fast sicher, daß es Cor war. Auf ihrem Schoß ruhte ein kleiner Koffer. Was ging da vor? Er rannte an der Reling entlang und rief ihren Namen. Aber der Wind, der durch die Schlucht brauste, war laut, und sie war schon weit weg. Das Boot zog um die Biegung des Schlunds, verschwand.
Vielleicht war es doch nicht Cor gewesen; aber das alte Fantasy -Mottofiel ihm ein – »Die Dinge sind nicht so, wie sie scheinen.«
Er hatte sich wieder ziemlich in der Gewalt, als er die Verwaltungsdecks erreichte. Er begegnete einer von Tatjas Sekretärinnen und wurde in das Büro der Naturwissenschaftsredakteurin geführt.
Grimm lächelte dünnlich, als Svir an ihren Schreibtisch trat. »Setz dich, Svir. Können wir mit den letzten Anweisungen anfangen?«
Hedrigs nahm den angebotenen Stuhl nicht an. Er stand linkisch vor dem Schreibtisch. Tatjas physische Gegenwart ließ fast bedeutungslos erscheinen, was er diesen Nachmittag gesehen hatte, und plötzlich war es schwierig, die Rede aufzusagen, die er geplant hatte. »Tatja – Miss Grimm, ich habe, äh, über dieses Unternehmen … nachgedacht. Ich weiß, es ist wichtig für Sie – für jedermann hier. Aber ich, äh, ich glaube nicht, daß ich der richtige, äh …«
Tatja nahm einen kristallnen Brieföffner vom Tisch auf. Sie blitzte ihn mit einem breiten Lächeln an. »Der langen Rede kurzer Sinn ist also, daß du dich entschlossen hast, daß du lieber doch nicht bis zum Ende mitmachst. Du bist bereit für die Überfahrt zu bezahlen, aber du fühlst keine Verpflichtung, deinen Hals für diesen Plan zu riskieren. Ist es das, was du sagen willst?«
»Ja, genau«, sagte Svir erleichtert. »Ich bin froh, daß du meinen Standpunkt verstehst.«
Tatja sagte zunächst mal gar nichts. Sie inspizierte den Brieföffner, warf ihn in die Luft, wo er glitzernd umherwirbelte, und fing ihn ab, kurz bevor er sich in die eichene Tischplatte gebohrt
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