Damon Knights Collection 6
aufgestapelt. Die am Heck jeder Barke aufgehängte Kugel mit Algenwasser beleuchtete die Opferstücke.
Ein verdrehtes Lächeln kreuzte Tatjas Lippen, als sie die Szene betrachtete.
Sie stieg zu einer der Unterpflasterpassagen hinab, die für den amtlichen Gebrauch reserviert waren, und fünf Minuten später tauchte sie stadtwärts im Rücken der Menge wieder auf. Hier standen wie versprengt diejenigen, die nicht genug Initiative hatten, sich durch die Menge zu boxen. Sie tätschelte Ancho, sprach leise zu ihm. Das war ein entscheidender Test. Der Theorie nach müßte Ancho sie als seine neue Herrin annehmen, aber Tatja mußte sichergehen. Sie konnte nicht sagen, ob er sendete oder nicht. Auf sie jedenfalls hatte das etwaige Signal keine Wirkung. Dann bemerkte sie, daß Leute in Achtungstellung gingen, als sie vorbeikam. Guter Ancho.
Sie erreichte die Festung ohne Zwischenfall. Die Wachmänner prüften sie sehr sorgfältig, dies war ja der zweite Generalinspekteur, den sie heute sahen. Aber sie ließen sie passieren. Als sie in der Dunkelheit zwischen den zwei Türen stand, nahm Grimm den Dorfox an ihre Hüfte herunter. Die Rüstung gab ihm guten Halt, und er war damit unterhalb des Sehwinkels der Periskope.
Schließlich kam sie zu den Türen des Kronraums. Tatja sprach mit einer tiefen, männlichen Stimme, um etwaige Mithöreinrichtungen zu täuschen. Sie wußte, daß sie selbst mit hochgeklapptem Visier die verborgenen Beobachter täuschen würde, weil sie die Rüstung des Generalinspekteurs trug. Und die Wachen im Vorraum hatten natürlich keine Chance. Mit Anchos Hilfe genügten sogar ihre Fingerabdrücke der Überprüfung.
Einmal im Kronraum, ging sie schnell zu den königlichen Aufzeichnungen. Sie zog die Schublade heraus, die sie suchte, blätterte den Inhalt grob durch und zog einen einzelnen Bogen feinen Pergaments heraus. Gut. Es war dieselbe Urkunde, die bei der Übertragung der Regentschaft öffentlich ausgestellt worden war. Aus ihrer Tasche zog sie ein anscheinend identisches Schriftstück, die gleichen Flecken und so weiter, und steckte es in den Stoß.
Dann ging sie weg, beachtete die verwunderten Wachen nicht. Die hatten erwartet, daß der G. I. den Abtransport der Opfer überwachen würde.
Tatja fand die Treppe zur Konzilischen Facette unbewacht. Das war unerwartetes Glück. Vielleicht war Macciosos Ablenkungsmanöver wirksamer, als sie gehofft hatte.
Sie entledigte sich der schwarzen Harzrüstung und stellte sie auf eines der Ablageregale, die den Sockel der Treppenspindel umsäumten. Das war der gefährlichste Teil ihres Planes. Wenn sie in den nächsten drei oder vier Minuten entdeckt werden würde, würde sie in ernstliche Schwierigkeiten geraten. Aus einer grau en Stofftasche zog sie ein weißes Kleid und juwelenbesetzte Sandalen hervor. Sie zog beides an, setzte Ancho auf die Schulter und rannte die Treppe hinauf. Dieser Treppenaufgang wurde nicht oft benutzt, da er aus einer einzigen Spirale bestand, die sechshundert Fuß anstieg. Die meisten Leute zogen es vor, in Etap pen zu steigen. Auch jetzt noch hielt Tatja den schweren Degen. Das und den Dorfox, der sich an ihre Schulter klammerte, ausgenommen, hätte sie ein Mädchen von einer Insel auf einem Kommunionsausflug sein können.
Sie nahm drei Stufen bei jedem Sprung, so schnell, daß sie sich nach innen in die Spiralkurve legen mußte, um ihr Gleichgewicht zu halten. Als sie diesen Plan entwickelte, hatte sie zunächst drei Jahre in Bayfast verbracht, um die Bevölkerung und besonders die Festung zu studieren. Tar Benesh hatte das Fest der Prunkenden Verschwendung geschaffen, um die Aufmerksamkeit von einem viel wichtigeren Ereignis abzulenken, das alle fünf Jahre zur gleichen Zeit stattfand. Die Spitzenleute in der Bürokratie war übergewissenhaft ehrlich, aber wenn sie auch nur fünf Minuten zu spät käme, würde sie fünf Jahre zu warten haben – oder möglicherweise für immer. Daß sie die Hintertreppe nahm, sollte sie vor Beneshs Spezialtruppe schützen, aber falls sie hinsichtlich des bürokratischen Geistes des Rests einer Fehleinschätzung erlegen war, dann würde sie sterben – jedoch der Tod könnte ihren Fehlschlag nicht verschlimmern. Wenn sie keinen Erfolg erringen konnte, war das Leben nicht lebenswert.
Tatja nahm die Sechshundert-Fuß-Treppe in einem einzigen Sprint. Am oberen Ende dieser langen Treppenflucht war ein Eingang zur Konzilischen Facette, dem fünfeckigen Amphitheater ganz oben auf dem riesigen
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