Damon Knights Collection 9
für Silas. Nennt irgendwer seine Kinder heutzutage noch Silas? Dann frage ich nach dem L., und er sagt, Lerner, was völlig in Ordnung ist, der Mädchenname seiner Mutter, doch liebt er es nicht, als S. Lerner Wright durch die Welt zu gehen. Der Name ist absurd. Er ist S. L. Wie ich so im dunklen Raum des fast leeren Hotels liege, kann ich ohne Schmerzen an S. L. denken, ohne Schuld und Bedauern und Bitterkeit. Ich erinnere mich, wie es damals war. Ich liebte ihn so sehr, und wenn er nur etwas auf mich eingeredet hätte, wäre ich mit ihm nach Cal Tech gegangen und Mrs. S. L. Wright geworden bis in alle Ewigkeit. Ich merke, daß ich ihn nicht mehr liebe und ihn wahrscheinlich auch damals nicht geliebt habe, doch es schien wie Liebe, und es tat so weh, als hätte ich ihn geliebt, und hinterher schnitt, ich mir die Haare ganz kurz, benutzte kein Make-up mehr und belegte mehrere Abendkurse, absolvierte die drei Jahre in weniger als zwei und erhielt meine Titel und Grade und einen Job …
Das Telefon weckte mich, ich hebe den Hörer und spreche hinein: „Mein Auto ist kaputt, ich bin auf der Straße, zurück nach Somerset, und bekomme es nicht in Gang. Ich rolle abwärts, und direkt mir gegenüber ist eine Klippe, und ich kann nicht halten.“
Ich träumte, daß das Telefon klingelt, und es klingelt, und ich spreche hinein, nicht sehr zusammenhängend, und vergesse sofort, was ich gesagt habe, und schlafe wieder ein. Als ich am Morgen aufwache, habe ich das Gefühl, mehrmals ins Telefon gesprochen zu haben, aber ich kann mich nicht erinnern, was ich gesagt habe. Sid kommt herein und hilft mir aus meinem drahtigen Vogelnest heraus. Ich schicke ihn fort und stolpere ins Bad, wasche mein Gesicht und werde allmählich richtig wach.
Sid? Ich dachte, Roger hätte in dieser Nacht die Apparate bedient. Ich ziehe mich an, bürste mein Haar, lege Lippenstift auf. Beide warten auf mich, damit wir gemeinsam frühstücken. Sid hat tiefblaue Ränder um die Augen. An dem sonnigen Frühstückstisch mit einer Vase gelber Rosen warte ich darauf, daß sie das Schweigen durchbrechen, das uns umgibt. Die Stadt wirkt an diesem Morgen lebhaft, die Leute machen sich fertig, um nach Hawley zur Kirche zu fahren. Die Autos werden aus den Garagen geholt, wo sie die Woche über stehen. Einige nehmen noch rasch ein Frühstück im Hotel zu sich. Ich weiß, daß viele über Sonntag wegbleiben werden, um Freunde und Verwandte zu besuchen. Bald wird die Stadt völlig ausgestorben sein.
„Man sagt, du hättest dich die Nacht andrahten lassen wie ein zum Tode Verurteilter?“ Dorothea steht vorwurfsvoll am Tisch. „Bist du ganz in Ordnung?“
„Natürlich. Es ist nichts, Dorothea, wirklich nichts.“
Sie schnauft. „Die ganze Nacht über gehen hier Menschen ein und aus, sprechen in der Halle, treffen sich hier und da. Ich hätte sie nie reinlassen sollen.“ Sie spricht noch zu mir, doch richtet sich ihre Feindseligkeit gegen die Jungen und gegen Staunton, der gerade den Speisesaal betritt. Er kommt zu uns, dunkle Schatten unter den Augen. Er meidet meinen Blick.
Schweigend trinken wir unseren Kaffee und warten auf das Frühstück. Ich löse ein Pflästerchen von meinem linken Augenlid, und Sid sagt rasch: „Einer der Drähte hat sich in der Nacht gelöst, und ich habe ihn erneuert. Tut es weh?“
„Nein. Ist in Ordnung.“ Plötzlich irritiert mich die Vorstellung, daß er die Nacht bei mir gewesen ist, den Draht über meinem Auge erneuert hat, ohne daß ich etwas davon gemerkt habe. Ich denke an die vergleichbare Rolle, die ich in meinem Tagleben spiele, und ich weiß, wie ich die Körper betrachte, die ich zu behandeln habe. Wie ich über den Arm verärgert bin, der sich von der Nadel zu befreien versucht, so daß ich sie noch einmal in die Vene schieben muß. Und die stille Befriedigung, wenn wieder einmal die Skalenscheibe richtig anzeigt. Ich fühle, wie ich mit der Stirn runzle, und versuche, wieder gelassen auszuschauen.
Staunton hat nur Toast, Orangensaft und Kaffee bestellt. Er gähnt. Sobald er den letzten Toast verzehrt hat, sagt er: „Ich gehe zu Bett. Wollen Sie heute abend mit uns essen, Miss Matthews?“
Die Frage überrascht mich, und ich sehe ihn an. Er betrachtet mich lange und ernst, und mir wird bewußt, daß irgend etwas passiert ist, daß ich damit zu tun habe und daß er sehr besorgt ist. Ich bin unruhig und nicke nur ein Ja.
Als er fort ist, frage ich: „Was ist passiert? Was ist los?“
„Wir wissen es noch
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