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Danach

Danach

Titel: Danach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Koethi Zan
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eines kranken Spiels sein, aber ich habe trotzdem das Gefühl, dass wir dieses eine Mal auf ihn hören sollten.«

33
    Wir kehrten schweigend zu unserem Mietwagen zurück, und Tracy nahm ihren mittlerweile gewohnten Platz hinterm Lenkrad ein. Dieses Mal machte es mir nichts aus, dass sie fuhr. Denn merkwürdigerweise schien ich nun diejenige zu sein, auf die die anderen hörten. Ein ganz neues Gefühl.
    Während wir die letzten Ausläufer der Stadt hinter uns ließen, starrte ich auf der Beifahrerseite aus dem Fenster und fragte mich, was mich dazu gebracht hatte, auf einer Rückkehr in Jacks Haus zu bestehen. Mir fiel wieder ein, was ich mir vor zehn Jahren geschworen hatte: dass ich niemals in diesen Bundesstaat zurückkehren würde, geschweige denn in dieses Haus. Ich sah zu Tracy. Sie nickte und legte einen höheren Gang ein.
    »Du hast recht, Sarah. Wir müssen es tun.«
    Nachdem ich die Adresse des Hauses bei Google gefunden hatte, gaben wir sie in das Navigationsgerät ein. Erstaunlich, wie leicht der Ort unserer Gefangenschaft heute zu finden war, wo man doch damals so verzweifelt nach uns gesucht hatte. Dort war er, frei zugänglich auf Google Maps, Street View oder Google Earth. Ich drehte mich zum Rücksitz um. Christines Hände zitterten wieder und wanderten unruhig ihre Oberschenkel entlang.
    Auch mein Atem beschleunigte sich, und ich nahm genervt den Schwindel zur Kenntnis, die rasenden Gedanken. Wenn es eins gab, das ich unter allen Umständen verhindern wollte, dann dass Adele Zeugin einer meiner Panikattacken wurde. Dieses Mal machte ich mir allerdings nicht die Mühe, die ausgeklügelten Stressbewältigungsstrategien anzuwenden, die ich von Dr. Simmons gelernt hatte. Verdammt nochmal, dachte ich. Du kriegst jetzt keine Panikattacke! Auf gar keinen Fall!
    Ich hielt die Luft an, zählte mit geschlossenen Augen bis zwanzig und rief mir in Erinnerung, dass ich es für Jennifer tat. Ich zog ihr Foto aus der Tasche, um noch einmal einen Blick auf ihr Gesicht zu werfen. Dann steckte ich es wieder weg, als Talisman, der mich gegen das Böse schützen sollte, das an diesem Ort herrschte.
    Ich spürte, wie meine Gedanken klarer wurden und meine Atmung sich beruhigte. Wieder überkam mich eine seltsame Euphorie. Vielleicht würden wir etwas finden. Beweise. Erklärungen. Antworten. Etwas, womit wir Jacks Bewährung verhindern konnten, etwas, das uns zu Jennifers Leiche führte. Oder vielleicht, nur vielleicht, auch einen Hinweis darauf, warum uns das alles passiert war. Ich konnte mich nicht entscheiden, was mir am wichtigsten war.
    Als mir damals vor zehn Jahren endlich die Flucht gelungen war, hatte ich geglaubt, dass ich nie wieder unglücklich sein würde, dass es keinen Platz mehr für Traurigkeit gab, solange ich nur frei war. Warum konnte ich also nicht glücklich sein?
    Oder war es eine Illusion, dass Menschen jemals über erlittenes Unrecht hinwegkommen? War es in Wirklichkeit vielleicht so, dass der Schmerz nie weniger wurde, dass immer mehr Kummer und Leid auf dieser Welt zusammenkamen, jetzt, in dieser Minute, in Millionen von Herzen, in Körpern, die schwer an der Last des Lebens trugen, in Gesichtern, die ab und zu durch ihre Tränen hindurch zu lächeln versuchten, wenn sie für einen flüchtigen Moment vergaßen, was ihnen passiert war? Vielleicht nannte man das »leben«.
    Aber darüber konnte ich jetzt nicht nachdenken. Ich musste mich konzentrieren. Natürlich war die Wahrscheinlichkeit, dass wir Hinweise fanden, die das FBI übersehen hatte, auf den ersten Blick nicht sehr hoch, aber die Beamten hatten damals nach etwas ganz anderem gesucht. Statt Jack Derbers gesamte Existenz unter die Lupe zu nehmen, seine Arbeit, seine Denkweise, hatte man das Augenmerk darauf gelegt, nach weiteren Mädchen zu suchen, die sich vielleicht irgendwo im Haus versteckten, nach Körpern oder Leichen, nach handfesten Beweisen.
    Zumal Prostitutionsringe vor zehn Jahren vermutlich noch kein Schwerpunkt der polizeilichen Ermittlungsarbeit gewesen waren. Das Internet hatte noch nicht die Perversen der ganzen Welt vereint und ihnen eine koordinierte Ausübung ihrer Horrortaten ermöglicht. Es war die große Zeit der Serienmörder gewesen, und so hatte man auch Jack Derber zum verrückten Einzeltäter erklärt.
    Während der gesamten vierzigminütigen Fahrt sprach keine von uns ein Wort. Stattdessen lauschten wir der Computerstimme des Navigationsgeräts, die gnädig die Leere zwischen uns ausfüllte. Immer wieder

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