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Danach

Danach

Titel: Danach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Koethi Zan
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Zentimeter großen Kettenglieder waren so rostig, dass sich der kupferrote Staub auf unserer Haut absetzte und beim Herumschleppen der Kette auf dem ganzen Körper Spuren hinterließ, die wie Kratzer aussahen. Die linke Wand war leer, aber ich sah einen kleinen Metallring daraus hervorragen – Platz für ein weiteres Mädchen, wenn er es wünschte.
    Dass inzwischen Morgen war, wusste ich nur, weil durch ein zugenageltes Fenster – das einzige Fenster, das ich sehen konnte –, ein schmaler Lichtstreifen zu sickern schien. Ich hätte gerne geschrien, hatte aber zu viel Angst. Als Tracy und Christine endlich aufwachten, brachte ich immer noch kein Wort heraus. Ich stand offenbar unter Schock, aber selbst in meinem verwirrten Zustand war ich froh, nicht alleine zu sein.
    Tracy rieb sich das Gesicht und blickte traurig zu mir hinüber, bevor sie ohne ein Wort zu Christine kroch und sie wachrüttelte. Christine drehte sich zur Wand, vergrub das Gesicht in den Händen und murmelte etwas vor sich hin.
    »Christine, das neue Mädchen ist wach.« Tracy wandte sich mit einem schwachen Lächeln an mich. »Tut mir echt leid, dass du hier bei uns gelandet bist. Du siehst wirklich nett aus. Eine Schande. Das andere Mädchen – kennst du sie? Sie hat eine von uns vor etwas bewahrt, wovor wir große Angst haben. Und darüber freuen wir uns sehr, das gebe ich zu.«
    »Wo ist sie?«, war alles, was ich flüsternd hervorbrachte, weil meine Stimme immer noch von Panik erstickt wurde.
    Christine setzte sich auf, ihre klaren blauen Augen flatterten, als sie nervös zu der Kiste hinübersah. Ich folgte ihrem Blick und fing an zu weinen.
    »Ihr müsst es mir sagen! Sagt es mir! Wo ist Jennifer? Ist sie etwa da drin?« Ich flüsterte immer noch, aus Angst vor dem, was oben jenseits der Stahltür lauerte.
    Christine rollte sich wieder zur Wand. An ihren zuckenden Schultern sah ich, dass sie weinte. Das genügte, um mir die Tränen noch heftiger in die Augen zu treiben. Ich fragte mich, wie lange ich die Schluchzer, die in mir aufstiegen, würde unterdrücken können. Aber als sich Christine kurz darauf zu mir umdrehte, lächelte sie, während ihr gleichzeitig Tränen über die Wangen liefen. Erst da ging mir auf, dass sie nicht über meine und ihre aussichtslose Lage weinte. Sie weinte Tränen der Erleichterung.
    Tracy zog an ihrer Kette, um noch näher an Christine heranzukommen, und legte die Kette dabei sorgfältig auf dem Boden zu einer kompakten Schlinge. Dann kniete sie sich neben Christine an die Wand, umarmte sie und beruhigte sie mit leiser Stimme.
    »Ist ja schon gut«, murmelte sie zärtlich, so als sei Christine ihr Kind, das gerade böse gestürzt war.
    Sie gab Christine einen Kuss auf die Wange und kam dann in meine Richtung, wobei sie abwechselnd an der Kette zog und sie neben sich zu einer ordentlichen Schlaufe legte, langsam und methodisch. Das Ganze glich einem verrenkten, avantgardistischen Tanz, und die Kettenglieder klirrten beinahe melodisch im Takt. Ziehen, hochheben, ablegen. Ziehen, hochheben, ablegen.
    Ich wich unwillkürlich vor ihr zurück, während sie nah, sehr nah an mich herankam und sagte: »Ich fürchte, deine Freundin hat Pech gehabt. Aber du hast Glück. Verglichen mit ihr, meine ich.«
    Ich fing noch heftiger an zu schluchzen und fragte mich, in was für eine kranke Welt ich hier geraten war. In der Hoffnung, dass alles nur ein Albtraum war, aus dem ich bald erwachen würde, kniff ich fest die Augen zu.
    »Wo ist Jennifer? Wo ist meine Freundin?« Ich hatte endlich meine Stimme wiedergefunden und schrie nun regelrecht. »Jennifer, Jennifer, bist du da drin? Geht es dir gut?«
    Tracy ignorierte mich einfach und fuhr fort: »Du hast Glück im Unglück, weil Christine und ich sehr erfahrene Kellerbewohnerinnen sind. Wir zeigen dir sozusagen, wo der Hammer hängt.« Sie lachte, als hätte sie einen Witz gemacht, und auch Christine gab Geräusche von sich, die wohl ein Lachen sein sollten. Mir lief ein Schauder über den Rücken. Ich wusste nicht, ob ich mehr Angst vor meinem Kidnapper oder vor diesen dürren, mutlosen Mädchen haben sollte, die hier am Ende der Welt mit mir festsaßen.
    Ohne mich aus den Augen zu lassen, ging Tracy zur Treppe und zog dabei weiter die Kette hinter sich her. Ziehen, hochheben, ablegen. Am Fuß der untersten Stufe stand ein Karton, aus dem sie nun Sachen zu holen begann: Als Erstes zwei verschlissene, aber offenbar saubere grüne Krankenhauskittel. Sie warf Christine einen

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