Danach
ist momentan dein Gehirn. Wie du schnell feststellen wirst, ist die beliebteste – nicht die einzige, aber die beliebteste – Foltermethode unseres Feindes die psychologische Folter, dein Verstand muss also einwandfrei funktionieren. Du darfst ihn nicht in deine Gedanken lassen. Erzähl ihm niemals etwas über dein früheres Leben. Niemals.«
»Eine Niemals-Liste«, flüsterte ich. Es galt mehr mir selbst als ihr. »Und Jennifer? Was wird mit ihr passieren?« Ich war endlich in der Lage, die entscheidende Frage zu stellen, ohne hysterisch zu werden.
Beide wandten den Blick ab. Christine starrte zu Boden und flüsterte etwas, das ich nur mühsam verstand.
Es klang wie: »Vergiss sie, so schnell du kannst.«
5
Nachdem ich den Brief gelesen hatte, verbrachte ich weitere drei Tage allein in meiner Wohnung. Ich sagte meine Therapietermine ab und ging nicht ans Telefon. Dr. Simmons hinterließ drei Nachrichten, und Agent McCordy vier. Ich wusste, dass sie sich Sorgen machten, aber ich konnte ihnen unmöglich erklären, dass ich mich auf eine grundlegende Abkehr von meinem posttraumatischen Lebensstil vorbereitete, eine Abkehr, zu der ich selbst noch gar nicht bereit war.
Ich brachte nicht den Mut auf, Dr. Simmons zu sagen, dass sie nach zehn Jahren gemeinsamer therapeutischer Anstrengung – nach all den Tränen und all den Sitzungen, in denen ich nur ins Leere gestarrt hatte, während sie geduldig daneben saß, in denen wir uns im Kreis gedreht und die Ereignisse in meinem Leben durchwühlt hatten, in denen wir jede Erinnerung sondiert hatten bis auf die, an die ich mich noch immer nicht heranwagte, obwohl Dr. Simmons diese am liebsten ergründet hätte –, dass sie nach alldem nichts mehr für mich tun konnte. Wir waren in einer Sackgasse angelangt. Ich musste endlich etwas Echtes, etwas Greifbares tun.
Nach dem ersten Therapiejahr konnte ich die Umstände und Ereignisse meiner Gefangenschaft auswendig aufsagen. Mir kam es vor, als wären sie einer anderen Person passiert, hätten sich in einem anderen Universum ereignet. Ich betete eine Litanei schrecklicher Dinge herunter, um Dr. Simmons bei Laune zu halten, flocht neue Details ein, wann immer unsere Gespräche langweilig wurden, wann immer sie anfing, mehr von mir zu verlangen.
Ich offenbarte ihr meine Geschichte in einzelnen Bildern. Ich, wie ich mit verbundenen Augen an zusammengeketteten Beinen von einem Haken an der Decke baumele. Ich, ausgebreitet wie ein präpariertes Insekt, mit einem Katheter in der Blase, der mich Milliliter für Milliliter mit Flüssigkeit füllt. Ich, in der Ecke auf einen Stuhl geschnallt, die Hände hinter dem Rücken gefesselt, mit einer chirurgischen Nadel in der Zunge.
Fakten, Details, Spezifika.
Dinge, die jemand anderem passiert waren. Jemandem, der nicht mehr da war.
Vordergründig sah es so aus, als würde ich mich Dr. Simmons öffnen und ihr meine dunkelsten Geheimnisse anvertrauen. In Wirklichkeit entzog ich mich, was sie die ganze Zeit zu wissen schien. Ich konnte meine schrecklichen Geschichten zwar erzählen, aber ich spürte sie nicht mehr. Sie waren wie Gedichtzeilen, die nach der soundsovielten Wiederholung ihre Bedeutung verlieren.
Wir befanden uns also seit Jahren in einer Pattsituation. Stundenlange vergeudete Sitzungen, in denen sie darauf wartete, dass ich endlich einen Schritt nach vorne machte. Und jetzt hatte ich genau das vor.
Am vierten Tag rief ich McCordy an. Er nahm beim ersten Klingeln ab.
»McCordy hier.«
»Sitzen Sie gerade?«
»Car… Sarah, sind Sie das?«
»Ja. Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass es mir gutgeht. Ich habe den Brief gelesen. Sie hatten recht: sinnloses Geschwafel. Ich verspreche, dass ich nicht ausflippe wie beim letzten Mal.«
»Warum sind Sie dann nicht ans Telefon gegangen?« Ein Anflug von Misstrauen lag in seiner Stimme. »Wir waren drauf und dran, den Notarzt vorbeizuschicken oder die Haustür einzutreten.«
»Und warum haben Sie es nicht getan?« Schweigen am anderen Ende der Leitung. »Sie haben mit Bob gesprochen, stimmt’s? Sie wussten, dass ich immer noch Essen nach Hause bestelle und daher nicht tot sein kann. Raffiniert«, sagte ich und versuchte, beiläufig und unbekümmert zu klingen. »Na ja, jedenfalls habe ich über das nachgedacht, was Sie gesagt haben, und … beschlossen zu verreisen.«
»Jetzt bin ich tatsächlich froh, dass ich sitze. Das sind … das sind wunderbare Neuigkeiten. Aber sind Sie auch ganz sicher, dass Sie dazu bereit sind?
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