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Danach

Danach

Titel: Danach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Koethi Zan
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davon zu und wickelte sich den anderen um die Schultern. Dann griff sie in den Karton und zog einen dritten Kittel hervor.
    »Ah, siehst du? Er hat bereits für dich vorgesorgt.« Sie warf ihn mir hin. Der Stoff war weich vom vielen Waschen und roch nach Waschmittel.
    »Dein königliches Gewand«, erklärte sie theatralisch. »Und unsere Wochenration. Zum Glück bist du an einem Sonntagabend angekommen. Montage sind gute Tage für uns.«
    Ich griff nach dem Kittel und zog ihn an, indem ich Tracys Beispiel folgte – die Öffnung nach vorne, aber fest um den Körper gewickelt. Tracy holte weitere Sachen aus dem Karton – Konserven, einen Laib Brot und einen Fünfliterkrug Wasser – und reihte alles ordentlich entlang der Wand auf.
    Unterdessen kauerte ich auf meiner Matratze und klammerte mich an ihr fest wie ein kleines Mädchen an seiner Puppe, während ich auf die Kiste starrte und mich fragte, warum Jennifer nicht antwortete.
    Tracy ignorierte meinen Zustand und redete weiter: »Unter der Woche überlässt er uns meistens uns selbst. Im Sommer und in den Semesterferien ist das anders – dann brechen harte Zeiten im Kellerland an. Ach ja: Die Wochen sind ohnehin sehr kurz. Vier Tage Freiheit – du merkst sicher, dass ich diesen Begriff sehr frei verwende –, gefolgt von drei Tagen Schmerzen und Leid. Du musst nämlich wissen – und jetzt halte dich fest –, dass unser Herr und Meister Psychologieprofessor an der University of Oregon ist, mit Betonung auf ›Psycho‹. Er gibt Seminare . Nimmt an Kongressen teil. Hat Sprechstunden mit Studenten . Außerdem gibt es Graduiertenfeiern und Elternbesuchstage und andere besondere Anlässe, die uns vor seiner Anwesenheit bewahren, so dass wir hier unten in Ruhe und Frieden leben können. Allerdings nur, wenn er genügend Essen und Wasser dalässt.«
    »Woher weißt du das alles?«
    »Von Christine natürlich.« Sie blickte zu Christine hinüber, die wieder eingeschlafen zu sein schien. Jedenfalls lag sie bewegungslos da, die Knie an die Brust gezogen, die Kette ordentlich neben sich zusammengelegt. »Christine war seine Lieblingsstudentin. Aber das ist schon über zwei Jahre her. Kann gut sein, dass er jetzt einen neuen Liebling hat, nicht wahr, Christine?« Christine öffnete ein Auge. Ihr Blick schoss zwischen Tracy und mir hin und her, während sie leise vor sich hinwimmerte.
    Aber mir schrillten nur die Wörter zwei Jahre im Ohr.
    »Er heißt Jack Derber.« Tracy sprach den Namen absichtlich laut aus, sah sich dann aber ängstlich im Raum um, als könnten die Wände zur Strafe nach ihr greifen.
    »Und da wir dieses pikante kleine Detail kennen«, fuhr sie fort, »können wir sicher sein, dass er uns niemals, niemals rauslassen wird. Er will, dass wir hier verrecken, sobald er mit uns fertig ist. Christine und ich haben die Vermutung, dass das sein wird, wenn wir zu alt für seine Zwecke sind, oder vielleicht auch früher, wenn wir ihm Ärger machen. Und deshalb benehmen wir uns so gut wir können. Was sind wir für brave kleine Mädchen, nicht wahr, Christine? Schließlich kann er uns ziemlich leicht ersetzen.« Sie sah mich eindringlich an. »Wie du sehen kannst, hat er hier unten nur begrenzt Platz. Und es ist bestimmt nicht billig, uns alle durchzufüttern.«
    Ich hatte Mühe, ihrem Gedankengang zu folgen. Sie wirkte plötzlich alles andere als wohlwollend. Als sich etwas in der Kiste bewegte, fuhren wir alle drei herum. Dann herrschte wieder Stille, und Tracy setzte ihre Ausführungen fort: »Ich habe hier unten eine kleine Strategie entwickelt und rate dir dringend, dasselbe zu tun. Christine hat sich diesbezüglich leider nicht besonders geschickt angestellt, und du wirst feststellen, dass sich das zu ihrem Nachteil ausgewirkt hat. Du musst körperlich und mental stark bleiben und so viel lernen, wie du kannst. Denn irgendwann geschieht vielleicht doch noch ein Wunder.«
    Ein Wunder. Das Wort ließ mich zusammenzucken, weil es allem widersprach, woran ich glaubte.
    Tracy entging meine Skepsis nicht. »Ich weiß schon, ein Wunder als einzige Hoffnung ist nicht gerade berauschend, aber ich habe gründlich nachgedacht und versichere dir, dass das alles ist, was wir haben. Wir können nichts weiter tun, als uns darauf vorzubereiten. Und deshalb lautet mein Motto: ›Iss, was du kriegst, schlaf, wenn du liegst, verbirg deine Gedanken vor ihm, und du siegst!‹« Sie lachte wieder über ihren eigenen traurigen Witz und sagte dann: »Dein wichtigster Körperteil

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