Danach
und habe überlebt. Im Gegensatz zu meiner Freundin Jennifer.«
Sie nickte und ließ mich nicht aus den Augen. Bestimmt merkte sie, dass es mir längst nicht so gutging, wie ich vorgab. Aber sie hakte nicht weiter nach.
»Also, warum sind Sie wirklich hier?«
»Weil ich Jennifers Leiche finden will. Ich will beweisen, dass Jack sie umgebracht hat, damit er nicht auf Bewährung rauskommt.«
»Auf Bewährung rauskommt? Jack Derber kriegt Bewährung?« Sie war aufrichtig entsetzt, hatte sich aber sofort wieder unter Kontrolle.
»Vielleicht«, antwortete ich. »Ich weiß es nicht, aber ich will verhindern, dass es überhaupt möglich wird. Was es theoretisch durchaus ist.«
Adele nickte, während ihr Blick in die Ferne abschweifte. Sie schien angestrengt nachzudenken.
»Das wäre so ziemlich das Schlimmste, was passieren könnte«, sagte sie schließlich. »Wenn ich könnte, würde ich Ihnen gerne helfen. Dieser Mann hat es verdient, sein restliches Leben hinter Gittern zu verbringen. Aber ich weiß nicht mehr über ihn als das, was ich auch der Polizei damals erzählt habe.«
Wir waren jetzt wieder vor dem Psychologiegebäude angekommen. Sie zögerte kurz und bedeutete mir dann, ihr hinein zu folgen. Ich hatte das Gefühl, meinen ersten echten Sieg errungen zu haben.
Schweigend ging sie durch die Flure voraus, und ich trottete folgsam hinterher.
In ihrem Büro angekommen setzte sie sich hinter den Schreibtisch, während ich auf einem kleinen, verschlissenen Sofa ihr gegenüber Platz nahm.
»Mir geht es weniger um Ihre Erinnerungen an ihn als um Erkenntnisse über seine wissenschaftliche Arbeit«, begann ich. »Mich würde interessieren, worüber er damals forschte, was für Studien er betrieb. Vielleicht bringt mich das auf eine neue Fährte. Sie waren doch damals seine wissenschaftliche Hilfskraft, und Ihre jetzige Forschungsarbeit ist auch nicht ganz … unverwandt, wenn ich richtig informiert bin.«
Ich war mir nicht sicher, wie sie auf diesen Vorstoß reagieren würde. Ihr starrer Ausdruck machte mich inzwischen wirklich nervös. Dachte sie nur nach, oder erwog sie, mich aus dem Büro zu werfen?
Um ihrem Blick zu entgehen, sah ich mich im Zimmer um, in dem penible Ordnung und Sauberkeit herrschten. Die Buchtitel in den Regalen waren alphabetisch sortiert, und ihre Notizbücher lagen auf akkuraten Stapeln und trugen farbige Etiketten. Ihr Anblick war seltsam faszinierend. Endlich ergriff sie das Wort.
»Seine wissenschaftliche Arbeit? Ich glaube nicht, dass Sie da fündig werden. Sie war hochtheoretisch und sehr komplex. Er hat sich für die unterschiedlichsten Themen interessiert, aber mit Sicherheit darauf geachtet, dass keins davon Hinweise auf seine dunkle Seite hätte liefern können. Als er verhaftet wurde, plante er gerade eine Studie über Schlafstörungen. Ich habe mit ihm bei seiner letzten Veröffentlichung zusammengearbeitet: Schlaflosigkeit im Alter. Meine eigene Arbeit ist ganz und gar nicht mit seiner verwandt. Allerdings gebe ich gerne zu, dass sie sich in eine bestimmte Richtung entwickelt hat, weil ich versucht habe, Jack Derber und Leute wie ihn zu verstehen. Ich wollte dieser Gefahr auf den Grund gehen, dieser Bösartigkeit, der ich selbst nur knapp entronnen bin.«
Wir saßen eine Weile stumm da, während ich mir den Kopf zerbrach, was ich sie noch fragen konnte, und sie in Gedanken versunken schien. Ich war enttäuscht, weil ich gehofft hatte, dass seine wissenschaftlichen Veröffentlichungen neue Erkenntnisse lieferten und vielleicht einen Hinweis enthielten, den er unbeabsichtigt darin hinterlassen hatte. Offenbar war ich erneut an einem toten Punkt angelangt.
Als ich gerade resignieren und mich von ihr verabschieden wollte, stand sie auf, warf einen flüchtigen Blick auf den Flur hinaus und schloss ihre Bürotür. Dann verschränkte sie defensiv die Arme vor der Brust und fing an zu reden, zögerlich, den Rücken an die Tür gelehnt.
»Was ich vorhin gesagt habe, stimmt nicht ganz. Vielleicht weiß ich doch etwas, was Ihnen weiterhelfen könnte.« Sie hielt inne und schien nicht so recht zu wissen, wie sie fortfahren sollte. »Bei meinen Forschungen bin ich auf bestimmte Informationen über Jack gestoßen. Es kommt Ihnen vielleicht ein wenig seltsam vor, aber ich möchte Sie erst fragen, wie viel Sie ertragen können.«
»Was meinen Sie mit ›ertragen‹?« Ich hatte Angst vor dem, was nun kam. Die Richtung, die unser Gespräch zu nehmen drohte, gefiel mir ganz und gar
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