Danach
bewusst, wie wenig ich eigentlich über sie wusste. Ich verließ mich darauf, dass wir vermeintlich ein ähnliches Schicksal teilten, auf eine Verbundenheit, die sie vielleicht gar nicht spürte. Und trotzdem hatte ich zugelassen, dass sie mich hierherlockte.
Nach einer letzten langen Kurve sah ich zu meiner Erleichterung ein Gebäude auftauchen, das als Club durchgehen konnte. Auf einem Kiesparkplatz am Waldrand standen etwa fünfzehn bis zwanzig Autos. Wie wahrscheinlich war es, dass die Halter all dieser Autos mit Jack Derber unter einer Decke steckten? Nicht sehr wahrscheinlich, beschloss ich und lenkte meinen Wagen in die Parklücke, die am weitesten vom Eingang entfernt lag, was meiner üblichen Regel widersprach. Aber ich wollte noch ein paar Minuten Distanz zu diesem furchteinflößenden Ort wahren. Drei Parklücken weiter saß Adele in einem sportlichen roten Mazda und wartete auf mich.
Anfangs bemerkte sie mich nicht. Wieder kam mir der Gedanke, einfach umzukehren. Stocksteif saß ich auf dem Fahrersitz, während mir ein eisiges Frösteln die Wirbelsäule hinaufkroch. Ich blickte in die Dunkelheit hinaus, die ich sonst mit den schweren weißen Leinenvorhängen meiner Wohnung aussperrte. Jetzt umschloss sie mich von allen Seiten und schien durch das Glas der Windschutzschreibe zu mir hereinzukriechen, um mich langsam zu ersticken. Sie wurde eins mit mir, ließ mich nicht mehr los. Mühsam holte ich Luft und versuchte das ständige Pochen in meinem Kopf zu ignorieren, von dem ich nicht wusste, ob es mein Herzschlag war oder die Musik, die aus dem Club dröhnte.
In diesem Moment wurde Adele auf mich aufmerksam und öffnete ihre Fahrertür, um zu mir herüberzukommen. Verwirrt sah sie mich durchs geschlossene Fenster an und gab mir mit einem Winken zu verstehen, dass ich endlich aussteigen sollte. Aber ich konnte mich nicht bewegen. Stattdessen ließ ich das Fenster ein paar Zentimeter herunter. Die hereinströmende Luft brachte ein wenig Klarheit in meine Gedanken, und ich begann wieder zu atmen.
»Warum steigen Sie nicht aus?«, fragte Adele und musterte mich eingehend. Ich bot offenbar einen besorgniserregenden Anblick. »Ich habe Ihnen etwas zum Anziehen mitgebracht.«
Adele selbst trug einen schwarzen Latex-Catsuit, und ihre Haare waren zu einem straffen Knoten zurückgebunden. Domina , war mein erster Gedanke. Wie passend.
Ihre Stimme hatte mich endlich zur Besinnung gebracht. Ich holte noch ein letztes Mal tief Luft, schnappte mir mein Handy und öffnete die Tür.
Sie drückte mir eine ziemlich schwere Einkaufstüte in die Hand. Was ich durch das Plastik hindurch ertastete, verhieß nichts Gutes, und meine Befürchtung bestätigte sich, als ich einen Blick in die Tüte wagte und einen Haufen schwarzes Lackleder erspähte. Ich hatte zwar geahnt, dass mich so etwas wie ein Fetischclub erwartete, aber als ich nun wirklich und wahrhaftig hinter Adele hineingehen sollte, klopfte mein Herz wie verrückt, und mir wurden die Knie weich.
Adele betrachtete mich prüfend.
»Ich weiß, dass Sie Angst haben, und mir ist auch klar, dass es nicht leicht für Sie wird, nach allem, was Sie durchgemacht haben. Aber es lohnt sich, Sie werden sehen. Ich werde Ihnen etwas zeigen, was die Polizei damals nicht zu Gesicht bekommen hat.« Sie holte tief Luft und fuhr dann fort: »Ich habe mir jahrelang Vorwürfe gemacht, weil ich niemandem von Jacks Verbindung zu diesem Ort erzählt habe. Damals, vor zehn Jahren, habe ich mir eingeredet, dass es ohnehin irrelevant sei, aber wenn ich ehrlich bin, wollte ich mich selbst nicht in Schwierigkeiten bringen. Ich wollte nicht, dass meine Eltern erfahren, mit welchen Themen ich mich an der Uni wirklich beschäftigte. Schließlich haben sie mir mein Studium finanziert. Außerdem hatte ich den Beamten bereits alles gesagt, was sie wissen mussten, zumindest alles, wonach sie gefragt haben. Und Jack Derber wurde schuldig gesprochen, das war schließlich das Entscheidende. Ende gut, alles gut, nicht wahr? Aber jetzt ist die Situation eine andere. Sie sind keine Polizistin, und ich muss auch nicht mehr an meine Studiengebühren denken. Ich … ich weiß, wie sehr Sie damals gelitten haben, und das mit Ihrer Freundin … Wenn ich irgendetwas tun kann, damit er länger im Knast bleibt …« Sie brach ab.
Ihre Worte sollten Mitgefühl ausdrücken, aber in ihren Augen war nichts davon zu erkennen. Wenigstens bemühte sie sich nach außen hin, mir zu helfen. Außerdem konnte ich mir
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