Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Danach

Danach

Titel: Danach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Koethi Zan
Vom Netzwerk:
nicht akzeptieren konnte, war die Art und Weise, wie ich sie verloren hatte. Und ich wusste, dass ich sie finden musste, um endlich die Zeit im Keller hinter mir lassen zu können.
    In Portland übernachtete ich wieder im selben Hotel, weil mir die dortigen Sicherheitsstandards annehmbar erschienen waren und ich auch beim zweiten Mal anstandslos ein Zimmer im obersten Stock bekam. Die Rezeptionistin kannte mich noch und wusste, dass ich während meines Aufenthalts keinen Zimmerservice wünschte. Das Letzte, was ich gebrauchen konnte, war eine fremde Person, die an meine Tür klopfte, in mein Zimmer kam und meine Sachen berührte.
    Am nächsten Morgen fuhr ich zur Uni. Ich hatte ein bisschen im Internet recherchiert und wusste ungefähr, wo ich meine beiden Zielpersonen suchen musste.
    Der Name der ehemaligen wissenschaftlichen Hilfskraft lautete Adele Hinton. Ich war mir sicher, dass sich Christine noch genau an den Namen erinnerte, auch wenn sie niemals zugegeben hätte, derart detailliert mit dem Prozess vertraut zu sein.
    Als sich Adele immatrikuliert hatte, hatte Christine bereits im Keller gesessen, und so waren sie sich nie begegnet, obwohl sie beide an derselben Fakultät Psychologie im Hauptfach studiert hatten. Adele hatte im Anschluss an ihr Studium promoviert und war dann zwei Jahre lang Jack Derbers wissenschaftliche Mitarbeiterin gewesen, bevor er eines Tages mitten in einer Vorlesung vor dreihundert Studenten verhaftet und vom FBI aus dem Hörsaal geschleift wurde. Verständlicherweise war das für viele Studenten ein Schock, und die Universität musste in den Medien und auf dem Campus einiges an Schadensbegrenzung leisten. Seine Lehranstalt hatte Jack Derber nur um ihren guten Ruf gebracht, uns um unendlich viel mehr.
    Ich wusste, dass die Staatsanwaltschaft sich während des Prozesses überrascht und sogar ein wenig beeindruckt davon gezeigt hatte, dass Adele nicht nur ihre Promotion fortsetzte – die meisten weiblichen Doktoranden wechselten sofort an andere Unis –, sondern auch kaum ein Seminar versäumte, während sie vor Gericht aussagte. Wenige Jahre später übernahm sie genau jenen Lehrstuhl, den Jack Derber innegehabt hatte und der nach seiner Verhaftung frei geblieben war. Damals hatte ich das ein wenig seltsam gefunden, aber ganz andere Sorgen gehabt und nicht eingehender darüber nachgedacht. Jetzt fragte ich mich, wie diese Frau so gleichgültig sein konnte. Vor Gericht hatte sie einen vollkommen unerschrockenen Eindruck gemacht. Ihr schien gar nicht in den Sinn gekommen zu sein, dass sie dem Tod ins Auge geblickt hatte, indem sie bis spät abends mit ihm an seinen Forschungen und Studien zusammengearbeitet hatte.
    Schlimmer noch: Ihre wissenschaftliche Karriere schien auf ebenjenen kranken Perversionen aufzubauen, die Jack Derber letztlich ins Gefängnis gebracht hatten. Auf der Webseite der Uni hatte ich gesehen, dass sie auf abnorme psychologische Verhaltensmuster spezialisiert war. Sie untersuchte Personen, deren Psyche krankhaft entwickelt war, in anderen Worten: Menschen, die ihren Mitmenschen schreckliche Dinge antaten. Das war die Personengruppe, der ihr Interesse galt.
    Als ich auf das Psychologiegebäude zuging, sah ich sie mit einem kleinen Bücherstapel unter dem Arm herauskommen und quer über den Hof gehen. Ich erkannte sie sofort, weil ich auf der Webseite der Fakultät ihren Lebenslauf und ein Foto entdeckt hatte, aber in natura sah sie noch besser aus, geradezu atemberaubend. Sie war groß, hatte offenes braunes Haar, das ihr über den Rücken hing, und wirkte eher wie eine Studentin als wie eine Professorin. Aus ihrer aufrechten Haltung sprach großes Selbstvertrauen, und sie streckte auf beinahe trotzige Weise das Kinn vor. Sie ging so schnell, dass ich fast rennen musste, um sie einzuholen.
    »Entschuldigen Sie. Sind Sie Adele Hinton?«
    Sie ging einfach weiter. Vielleicht hielt sie mich für eine Studentin und hatte keine Lust auf ein Gespräch mitten auf dem Campusrasen. Diese Frau war offensichtlich sehr beschäftigt.
    » Professor Hinton«, korrigierte sie mich.
    Dieses Mal hatte ich eine Geschichte parat. Ich hatte die Zeit im Hotel genutzt und fühlte mich gut vorbereitet. Also ging ich neben ihr her und legte los: »Ich heiße Caroline Morrow und bin Doktorandin an der soziologischen Fakultät.« Noch während ich hastig meine Worte hervorstieß, merkte ich, wie einstudiert sie klangen, und ich wusste, dass Adele jederzeit herausfinden konnte, dass ich log.

Weitere Kostenlose Bücher